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FUTTER FÜR DIE LESELAMPE

Wenn man oder frau es als Rezensentin erstmal zu einer gewissen Bekanntheit gebracht hat - will heißen, wenn man/frau die eine oder andere Person aus dem so genannten Literaturbetrieb kennengelernt hat - flattern sogar mal unaufgefordert Bücher ins Haus. Das ist schön, denn diese Bücher hätte mensch sonst ja vielleicht übersehen. Das wäre bei der Anthologie "Der Lautsprecher, Band 5 - Sauber und Sexy" wirklich schade gewesen, denn es gibt ja doch mehr interessante junge Autoren und Autorinnen als an die große mediale Glocke gehängt wird. Und während die einen zu Bennie Stuckrad-Barre in die Messehalle pilgern, lehnen sich die anderen gemütlich im Sofa zurück und genießen das geschriebene Wort - nicht nur weil das viel billiger kommt, als dem Bennie den Lebensunterhalt durch überteuerte Eintrittsgelder zu versüßen. Die Anthologie "Sauber und Sexy" lohnt überdies mit Vielfalt in Inhalt und Form: hier versammeln sich Slam-PoetInnen, PopliteratInnen, LyrikerInnen oder eben einfach (nein, ist gar nicht einfach!) GeschichtenerzählerInnen. Bekanntere AutorInnen wie Tanja Dückers oder Henning Chadde stehen neben gestandenen Slam-VertreterInnen wie DAN, Jan Off, Philipp Schiemann und dem Kabarettisten und Kolumnenautor Jess Jochimsen - mir gefällt aber vor allem an diesem Buch, dass hier auch Erstveröffentlichungen von unbekannten AutorInnen wie Silke Hegemann und Andrea Maria Bohn aufgenommen wurden und das Spektrum eben weiter reicht als das, was uns gemeinhin als junge Literatur in der Gestalt von Popliteratur verkauft wird. Die AutorInnen in "Sauber und Sexy" positionieren sich gegen stylishes Pseudo-Insein ebenso wie gegen jene Popliteratur, die sich so schlau und so szenig und so glamourös vorkommt, sie wenden sich - das ist nicht anders zu erwarten und klar - gegen Spießertum aller Altersklassen und gegen eine Konsumhaltung, die wir, medial überfüttert, mittlerweile schon beim Denken einnehmen.

Sie kritisieren all das in zuweilen harschen Worten. Und wenn es auch eklig ist, wie Philipp Schieman über die Dauerberichterstattung der Regenbogenpresse zu Babs, Bobs und Sabrina (alle DarstellerInnen beliebig austauschbar) schreibt, so entspricht das ja genau der Ekligkeit jener detailgenau ausgebreiteten Promileben-Berichterstattung, die wir nicht erbeten haben, der wir uns aber nicht entziehen können.

"...ein Beispiel für Perfektion, Erfolg, Schönheit. All das, was du nicht hast. Und so zieht dein Leben an dir vorbei. Du mit deinem Job und deinen Problemen und deinem kleinen Ficki-Ficki und deinen Ratenzahlungen und deinem knatschenden Kind und und und. Begleitet, lebenslang, von Sabrina und Konsorten, die wie eine Kamera, allgegenwärtig, aus dem Fernsehen, den Radios, den Magazinen zu dir herunterguckt, die, allgegenwärtig und dauerhaft, ein Beispiel für ihren Erfolg und dein Versagen anbietet. .... Teilt die Fernsehhostien aus, bitte macht auch mich endlich gläubig, damit ich nicht mehr leiden muss. Danke."

Verschluck dein Besteck

Über Jan Offs Beitrag steht der Titel Cumshot und wer irgendwelche wohlfeilen Angeber-Zoten erwartet, liegt falsch und darf sich gleich selber ohrfeigen:

"...Nur mal eben einen Freund besucht
keine 2 Kilometer entfernt
im nächsten Bundesland
und jetzt
lange genug herumgerutscht im Abschiebespaß Zwei null null eins
keine Würde mehr da
kein Stolz mehr da
der letzte Happen Hoffnung
weggesaugt von meiner Stimme bei der letzten Wahl
schrei nur, Asylant
SCHREI! Oder wimmer
Verschluck Dein Besteck
Ritz irgendwelchen Scheiß in die Wand
Wir gucken derweil 3SAT/Arte/ZDF
Die Sachen mit Anspruch, die Sachen mit Verstand...."

Wenn überhaupt, dann versuchen die Autorinnen und Autoren dieser Anthologie etwas anderes zu repräsentieren - nicht die Realität, denn das wäre vermessen. Vielleicht ein Leben und einen Wunsch. Social Beat. Das eher. Vielleicht als Gedicht. Oder es gibt eben eine Story - wie sie Boris Kerenski vom seltsam abwesenden Aufenthalt in L.A. zu berichten weiß, wie Ingeborg Jaisers Geschichte von der kleine Liebelei im Urlaub mit dem Computer oder ein Anekdötchen mehr aus einer altbekannten Reihe, von der ich persönlich ja nie genug kriegen kann: auf herzzerreißend komische Weise verunglückte erste Auftritte junger Bands. Es gibt Reiseeindrücke, Bienenbeobachtung, Berichte über Entdeckungsfahrten, es gibt mit "Lunte" von Martin Schmidt exquisites Spiel mit Worten - "disput is made for walking" - und es gibt Beiträge, die eine/n berühren wie ein kalte Hand: Ulrike Wörners "Skizze: Liebhaber und Todesarten" verhandelt Missbrauch, Magersucht, Opferhaltungen, Unterordnung, Selbsthass, und das Bedürfnis sich zu reinigen auf merkwürdig lakonische, distanzierte Weise, so, als ob alles schon zu spät wäre.

Herausgegeben haben diese Anthologie Svenja Eckert und Boris Kerenski (der ja schon die wegweisende Sammlung "Kaltland Beat" editiert hat) für den Freiburger Lautsprecherverlag, der sich auf junge Literatur zwischen den Stühlen Slam, Social Beat, Trash und Lyrik spezialisiert hat.

Ätherische Schutzhäfen gegen McCarthy

Wir blättern um und widmen uns einer weiteren Anthologie, diesmal zum Thema Radio. Radio wird dieser Tage meist so nebenbei gehört, von manchen, die in dieser Zeitung schreiben oder die sie lesen, wird es auch gemacht, aber über Radio nachgedacht wird selten. Wenn, bewegt sich dieses Nachdenken meist zwischen den Polen: Welche Musik läuft da? Gatzt die Sprecherin? Soll ich die möglichen Wünsche der werten Zuhörerschaft erfüllen?! Oder, spezieller, z.B.: Kann Radio Z seine Telefonrechnung bezahlen? (Achtung: Hypothetische Überlegung!)

Aber eigentlich könnten wir über ganz andere Sachen nachdenken. Wie: Braucht es eine neue Radiotheorie? Was wollten Bert Brecht und Walter Benjamin mit dem Radio als Kommunikationsapparat und ist das heute noch relevant? Was ist ein Hörspiel? Kann, soll, muss Radio zum Female Empowerment beitragen? Hat das Konzept Gegenöffentlichkeit noch Sinn? Hat Radio ein Recht auf Nullquote? Sind Experimente aus der Anfangszeit des freien Radios, wie sie vor allem bei freien Radios in Italien stattfanden, passé? Wie hat die Zulassung von privaten, kommerziellen und nicht-kommerziellen Radios Hörgewohnheiten verändert?

Andreas Stuhlmann hat eine Anthologie rund ums Radio herausgegeben: "Radiokultur und Hörkunst. Zwischen Avantgarde und Popularkultur 1923 - 2001", entstanden aus einer Ringvorlesung der Universität Hamburg. Die Beiträge kommen nicht nur aus der BRD, sondern auch aus u.a. Australien, den USA, den Niederlanden, Schweden. Die AutorInnen sind durchweg ExpertInnen und manche, wie Heiner Goebbels oder Jens Sparschuh, sind aus anderen Zusammenhängen bekannt. Untergliedert in fünf Abschnitte, die sich jeweils einem Aspekt widmen, wird fast alles abgedeckt zwischen öffentlich-rechtlich und frei, zwischen Radiogeschichte und Radiomachen, zwischen Inhalt, Analyse und Technik. Spannend ist das allemal, wenn zum Beispiel Michaela Hampf über die Geschichte des freien Radios in den USA schreibt am Beispiel der Pacifica-Sender, die 1946 vom Pazifisten Lewis Hill über eine nichtkommerzielle Stiftung gegründet wurden: "Ein Sender, der es sich leisten könnte, verantwortliche Berichterstattung über soziales, Experimente im künstlerischen Bereich und kontroverse Analysen und Diskussionen auch aus Minderheitenperspektiven zu bringen, so die Überzeugung der GründerInnen, würde in der Hand der Radioschaffenden selbst sein müssen." Die Pacifica-Sender begannen mit einem radikalen Free Speech-Ansatz. Sie weiteten sich auf bis heute fünf Sender aus. Die Einflussnahme staatlicher Organe, die vor allem in der McCarthy-Ära teils durch Repression Kontrolle über ein politisches Spektrum erlangen wollten, führte dazu, dass aus dem "radikal dialogorientierten Ansatz...ein Schutzhafen für vom liberalen Mainstream abweichende Meinungen wurde." Dieser Tage müssen die Pacifica-Sender sich mit der Kontrolle aus den eigenen Reihen auseinander setzen - denn "trotz seines egalitären Ansatzes war Pacifica in seiner inneren Struktur nie demokratisch."

Gespensterstimmen

Spannend ist es auch, wenn Christine Achinger, Janina Jentz, Dagmar Brunow und Regian Mühlhäuser die "Airwaves engendern" - ausgehend von der Überlegung wie Geschlecht im Radio konstruiert wird, werden hier zwei Ansätze auf ihre praktische Tauglichkeit überprüft: Frauen Stärke und Präsenz zu verschaffen und Geschlechterkonstruktionen zu irritieren. Hier können sich LeserIn und HörerIn allerlei Erkenntnis und - für die Radioschaffenden unter euch LeserInnen - Arbeitsmöglichkeit in den Alltag mitnehmen, auch wenn es keine pragmatische und schon gar keine endgültige Lösung gibt, denn: "Das weibliche Subjekt ist Produkt dessen, was ihm das Leben schwer macht und deshalb Bedingung seiner eigenen Abschaffung, Subjekt und Objekt der Kritik in einem und muss deshalb gleichzeitig gestärkt und kritisiert werden - von sich, d.h. uns selbst, natürlich." Reflexion ist hier vonnöten und tut auch gut, wenn mensch sich mal eingehend mit dem befasst, was da außer Musik noch so aus dem Apparat kommt: den Stimmen nämlich, die eigentlich unheimliche, gespenstige sind. Bei Ole Frahm und Torsten Michaelsen geht es nur anscheinend um Abgelegenes wie die obskur und esoterische Praxis der Tonbandstimmenforschung. Es geht auch darum, festzustellen, dass die "von den freien Radios meist behauptete Authentizität des Sprechens im Radio...immer ambivalent" ist.

Und später: "Der Rundfunk...dient keiner zweiseitigen Kommunikation, sondern der zerstreuten Distribution." Dass aber auch daraus einiges zu machen ist, zeigen Frahm und Michaelsen zum guten Schluss am Beispiel einer trotz Verbot gelungenen Demonstration gegen einen Nazi-Aufmarsch. Es lohnt für Theorie und Praxis, fürs Machen und fürs Hören, sich mit diesem Buch zu befassen. Das einzige Problem für einige LeserInnen könnte darin liegen, dass einige Beiträge in diesem Buch auf englisch sind.

Tine Plesch

Svenja Eckert/Boris Kerenski Hg., Der Lautsprecher, Band 5 - Sauber&Sexy, Lautsprecher Verlag, 200 S., ca € 10.-

Andreas Stuhlmann Hg., Radiokultur und Hörkunst. Zwischen Avantgarde und Popularkultur 1923 - 2001, Königshausen&Neumann, 346 S., € 25.-