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JOHNNY DOWD

Von White Trash & Country, Gothic & Gender

Da packt einer aus dem Nähkästchen des Unterbewusstseins aus, ganz unten, wo niemand so gerne genau hinschaut. Ein weißer US-Amerikaner ist´s, und die Musik zu seinen Aufräumarbeiten klingt schwer nach Country, Blues und Rock aus den Sümpfen zwischen Florida und Louisiana, da, wo die Alligatoren wohnen und Babs und Boris sich scheiden lassen, garniert mit einer heftigen Prise Tom Waits, Nick Cave, Captain Beefheart, Residents und Jefferson Airplane, abgewürzt mit grellen Gitarrensoli und einer Handvoll Doors-Orgel.

Warum sollte uns das interessieren? Ist doch der weiße Mann (nicht nur) in den USA der Unterdrücker und Ausbeuter, der gemeine Redneck, gemeinhin ein Konservativer und die armen Leute sind ja auch nicht immer die, die "Brüder zur Sonne zur Freiheit" anstimmen und dabei die Schwestern vergessen. Country ist, genau wie der Krimi oder die Gruselgeschichte, nicht per se ein konservatives Genre es kommt immer drauf an, wie die KünstlerInnen mit den Vorgaben und Strukturen umgehen, die die Konvention vorgibt. Country malt Bilder vom freundlichen Landleben in unser Hirn, weil wir vielleicht mal im Fernsehen MusikerInnen vor Heuhaufen und damals noch ganz normalen Kühen gesehen haben. Aber hinter allzu freundlichen Fassaden lauert ja bekanntlich ein Abgrund. Country war schon immer auch die Musik der VerliererInnen und der ArbeiterInnen, der Frauen in den unwegsamen Appalachen, die den Hof bewirtschafteten, während die Männer Jobs in der Stadt suchten, der BergarbeiterInnen und ihrer Töchter, wie Loretta Lynn die in den 70ern übrigens mal einen Song pro Pille schrieb. "White Trash" wird genannt, wer die Hautfarbe der Herrschenden hat, und doch keinen Fuß in die Tür zum Dow Jones kriegt und "Trailer Trash", wer den bürgerlichen Traum vom Häuschen mit dem weißen Gartenzaun in den Wohnwagen-Parks der mobilen US-Gesellschaft begraben muss. Trash as in Trashmusic as in Dreck. Kein Wunder, dass es im Niemandsland von Alabama Sekten geben soll, die Gott mit Hilfe von Giftschlangen anrufen ... Johnny Dowd wiederum ist 52, lebt in Ithaka im Staat New York, macht seit zwanzig Jahren Musik und fährt Möbel, hat den Rock´n´Roll zu seiner Religion erklärt, ohne sich für seinen Retter zu halten. Er klingt, als hätte er nie etwas anderes gelesen als Southern Gothic: Carson McCullers, William Faulkner, Flannery O´Connor und Tennessee Williams die HüterInnen düsterer Familiendramen und verlorener Sehnsüchte. Eher mit dem Küchenmesser als mit dem Skalpell legt er das Bild der freundlichen Countrymenschen mit vehementer, aber präziser Schnittführung bis auf Nerv und Knochen bloß und führt dabei den Gender-Diskurs, ohne sich als neuer Mann in den Vordergrund zu spielen. Da wird, vor allem live, jedwede Struktur zersägt und jedwede Versuchung, sich tumb im Rhythmus zu wiegen und die Schlechtigkeit der Welt mal kurz zu vergessen mit z.B. - einem schrillen Aufquietschen der Gitarre zerstört. Während Dowd dazu seine Texte grummelt und knödelt, geht Sängerin Kim Sherwood-Caso mit scharfer, klarer Stimme dazwischen, setzt nicht nur den Kontrapunkt, sondern gibt Kontra. Auf CD klingt die Band (neben Dowd und Sherwood Caso mittlerweile Brian Wilson, Drums/Bass, Justin Asher, Keyboards) dagegen nahezu handzahm. Aber die Texte haben es in sich. Schon Dowds erste CD "The Wrong Side of Memphis", karg und knarzend, fast durchweg im Alleingang eingespielt, handelte von alltäglichen Mördern und Psychopathen - Durchschnittstypen, die angepasst sind und gerade deshalb querschlagen. Keine Heroisierung findet hier statt; die böse Welt ist der ganz normale Alltag und der wird lakonisch in aller Konsequenz beschrieben: "I came into town, I was looking for a job, I couldn´t find nothing, so I started looking for someone to rob. I took my skimask and i put it over my face, walked into the feed store and i shot everyone in the place ... first there was a funeral and then there was a trial, hung me in the courtyard and let me hang up there for a while." Songs aus dem Land der Todesstrafe, die u.a. auch über jene verhängt wird, die den American Dream verwirkliche dein Recht auf Glück (dass Gott dich auserwählte, zeigt er dir durch Reichtum, glaubten die PuritanerInnen) bis in die letzte logische Konsequenz verfolgen.
Die Frauen sind die Dummen, haben doch meist die Männer die Waffen, ballern in blindem Hass um sich, weil sie nicht erkennen, dass der Fehler im System ist und nicht in den Personen. Gebüßt wird in der Todeszelle. „I shot and killed my girlfriend, then i sat and watched her die ... i won´t ask god for forgiveness, there´s still too many people i hate, but she was not one of them, and i realized that too late." Schuld und Buße gehören dazu, das verlangt der bigotte Mantel der Religion, der staubschwer vor allem über Kleinstädten hängt und alttestamentarisch Aug und Zahn fordert, aber kaum das Recht auf die eigene Waffe gegen den Klaps auf die andere Backe tauschen mag. Besessenheiten prägen die Protagonisten der Dowd'schen Songs reichlich, die Sühne für die Überschreitung der Regeln ist schauerlich, aber gerecht: "I was drunk that nite, I was higher than a kite, had my hand down inside her jeans next thing i know i heard my baby scream ... the car rolled over three times at least ... it took them three hours to free me and my wife ... three years she´s been in a coma ... i go visit her three times every week, each time i leave i kiss her on the cheek ... no woman´s flesh but hers will i touch ..."
Dowds zweites Album, "Pictures of Life's Other Side", kommt als eine Art Freakshow daher, die Zerrbilder von Beziehungen zwischen den Geschlechtern zeigt. Was mit vertrauten Zeilen anfängt wie: "I think about you everyday, i dream about you every night, i hope you don´t mind,"erweist sich als Blick in den Kopf eines Stalkers, der ein Schulmädchen verfolgt, der sich ihren Namen auf den Arm tätowiert hat, nachts in ihr Fenster schaut und dabei ist, die letzten Reste von Beherrschung zu verlieren: "My love for you is a scream," singt er, und beschwört jene irren Mörder herauf, die aus unerwiderter Liebe notfalls auch irgendjemanden erschiessen, und schlägt uns die Konvention des Liebeslieds mit geballter Faust ins Gesicht zurück.
Die Übertreibung dämlicher Vorurteile über geheimnisvolle Frauen, die überdies vom Teufel erschaffen werden, strafen womöglich Klischeevorstellungen hohn, die auch in Mr. Dowds eigenem Kopf sitzen, aber seine Neigung, sich selbst auch als Trottel darzustellen, der kapiert, dass er einer ist, was erstmal nichts entschuldigt, unterscheidet ihn von den lonesome Cowboys, den gelangweilten Familienvätern und den selbsternannten neuen Männern, die mal wieder zu wissen glauben, was Frauen brauchen. Dowd macht klar, wie Geschlechterzuschreibungen Verhaltensweisen perpetuieren: "Papa, oh papa, it´s plain to see, you was hoping for a daughter, instead of a son like me. someone who would sew your shirts, someone who would bake your pies, someone to look into your face with sweet adoring eyes. i was the disappointment right from the start, cause you recognize in me your own cold heart." Andererseits spielt Dowd mit den abgenutzten und doch so festsitzenden Rollenbildern, setzt sie so um, dass sie nach einem Moment von Irritation und Erkenntnis nicht mehr ernstgenommen werden können. Genau an dieser Stelle rückt dann auch Sherwood-Casos unterkühlter Gesang das Bild gerade, stellt die wohlige Behaglichkeit bloß, in der mensch sich gerade ausruhen wollte, warnt vor Konsequenzen, stellt Bedingungen ("If you want loyalty, treat your woman nice!"), oder agiert rezeptkonform, mit leicht höhnisch heruntergezogenen Mundwinkeln als genau jene Verkörperung von Herausforderung und Verlockung, vor der verklemmte Psychiater und Priester warnen. ("Meet me at the parking lot, up on level three, there´s something i gotta show you ..." das ist´s doch, was ihr wollt, oder?) "Worried Mind" ist weit mehr als nur die geniale Verarbeitung eines Hank William Songs, entlarvt die üppige Vegetation einer schwülen Sumpflandschaft, das heitere Jambalaya-Essen, als bedrohliche Idylle ..."Jambalaya, crawfish pie, filet gumbo, Jody ran off with Yvonne, my ma cher aimee-oh, I take a tall drink from a jar, act so gay-o, the war is over, johnny´s back on the bayou" ein Hauch degenerierter Blutrünstigkeit und eskalierender Gewalt, wie sie mit Vorliebe James Lee Burke in seinen Krimis schildert. Immer wieder ist es der Alltag, öde und trostlos, der dem Durchschnittsjungen das Lächeln einer Kettensäge ins Gesicht malt, die Zwänge zwischen Sonntagsschule, Hochzeit und Verdammnis auferlegt ("you have a dirty dirty mind, you got a missionary smile") White Trash-Durchschnittsleben in den USA: "My daddy cut meat in a safeway store, was the local butcher but he ain´t no more mamma´s drinking, cause daddy´s a drunk, sister´s out back, shooting junk ... i got a girl, lives across the track, we´re leaving here, and won´t come back, we´ll steal a car, hijack a plane, call up a taxi or hop a train. This whole town´s full of hypocrites, bankers, lawyers. And communists call me trash, my family too to hell with them, to hell with you.“

Tine Plesch

Johnny Dowd spielte am 17.1. im Zentralcafé/K4.
CDs: Wrong Side of Memphis, Pictures of Life´s Other Side, Temporary Shelter (Glitterhouse) www.johnnydowd.com
Lektüre: S.o., die Krimis von James Lee Burke (Vorsicht, blutrünstig!) und die Appalachenkrimis von Sharyn McCrumb