Zores: Musik abseits aller Hörgewohnheiten Jeden 1. Dienstag im Monat 21 - 24 Uhr bei Radio Z 95,8 MHz |
|||
|
John
Glacier,
Like A Ribbon
Young,
2024 - 15 Songs, 40 Min. Alles
ist verbunden. Und alles bleibt im Nebel. Mit einer wie unbeteiligt
wirkenden Stimme führt die Rapperin John Glacier durch ihr Album Like
A Ribbon. Ein bisschen stolpernd, aber vielleicht müssen die Schritte
auch nur vorsichtig gesetzt werden. Um sich im Netz der Beziehungen
nicht zu verheddern. Die freigelegt werden, wenn das Eis schmilzt. London
im Frost. Ganz so abwegig ist das natürlich nicht, aber auch nicht
wirklich naheliegend. Aber London ist eben auch eine ebenso überdrehte
wie abweisende Stadt. Und wenn ein/e Künstler/in Erwartungen weckt,
dann öffnen sich schnell die Abgründe verzehrenden Ruhms. John
Glaciers erste Veröffentlichungen beflügelten Erwartungen, die die
Musikerin nun auf einem sorgsam kuratierten Debut mit Verzögerungen
einlöst. Vielleicht nicht so, wie es erwartet wurde. Mich aber hat
es, ich sags mal gleich, hingerissen. Aber ich hatte ja John Glacier
gar nicht auf dem Schirm. Drei
Abschnitte umfasst John Glaciers Albumdebut. Like A Ribbon heisst der
erste, wie das ganze Album. Es schliessen sich an Duppy Gun und Angels
Trumpet. An der verschlurften und verträumten Atmosphäre ändert
sich wenig. Es scheppert und spukt musikalisch weiter, so das
Erinnerungen an witch house und Verwandtes nicht ausbleiben. Es wirkt
aber zugleich konkreter. Wie Gespenster des Lebens, mit denen wir
zusammenstossen können. Ohne uns blaue Flecken zu holen, in diesem
Fall. Beim
ersten Anhören kann John Glaciers Album Like A Ribbon wie
emotionsgefroren daherkommen - was ja schon mal taugt angesichts einer
gefühlsüberschüssigen Welt. Aber wenn das Eis zu schmelzen beginnt
zeigt sich darunter eine gar nicht so abwegige Lebendigkeit, die bloss
eine Weile angehalten worden zu sein scheint. Die Musikerin kann, sehr
stylish gekleidet übrigens, durchaus im Regen tanzen und wenn man sie
deshalb für crazy hält - ists egal. So spriessen plötzlich
klangliche bunte Blüten, plinkern Instrumente, die sich nicht so oft
ins Rap-Genre verirren, fühlt sich die Welt doch ungemein lebendig
an, obwohl niemand dazu eine Miene verziehen muss. Der
eminente Kwes Darko sollte als Produzent unbedingt noch erwähnt
werden. Anspieltipps:
Don´t
Cover Me, Money Shows feat. Eartheater, Emotions, Nevasure, Steady As
I Am, Found, Ocean Steppin feat Sampha
Hans
Plesch für ZORES auf Radio Z, 1.4.2025 Squid,
Cowards Warp, 2025 - 9 Songs, 45 Min Wer
ist zu feig, um sich durchs Kaninchenloch hinabzustürzen? Squid sinds
nicht. Und siehe da, sie landen in der Küche, wo´s knusprige Haut
gibt. Doch von welchem Tier? Und zählen wir nicht dazu, zu den
Tieren? Aber gewiss doch. Und hat Methode. Das
dengelt ganz schön los. Post Punk trifft auf Art Rock, Animal
Collective tanzen im Dunkeln (Stromausfall!) mit den Beach Boys (Pet
Sounds, aber mit Taranteln und Skorpionen, wie Cal Cashin
formulierte). Aber inzwischen hat jemand ein Lagerfeuer angefacht,
wenn auch nur ein kümmerliches. Hoffentlich gehts nicht gleich wieder
aus. Squid
haben jetzt mit Cowards ihr drittes Album draussen. Sie haben tatsächlich
eine längere Zeit zurückliegende Vergangenheit als Jazzband, die
sich quasi in alle möglichen Richtungen freigespielt hat. Zu unser
aller Hörvergnügen. Ollie
Judge (vocals, drums), Louis Borlase (guitar, vocals), Anton Pearson
(guitar, vocals), Laurie Nankivell (bass) und Arthur Leadbetter
(keyboards) wissen, samt Gästen, wie man die Bremse nochmal zackig
anzieht, bevor beherzt über die Klippe gesprungen wird. Rein in ein
rabenschwarzes Wunder/Unterland, wo irre gewordene Gurus,
menschenfressende Kaninchen und die Grinsekatze ihr ungerührtes Wesen
treiben. Cowards setzt das alles in funkenschlagende, aber auch
nachgerade in sich zusammenfallende Musik, wies besser kaum geht. Das
Eckige muss ins Runde, das Schauerliche der oft genug ihm
innewohnenden Banalität entkleidet werden - Squid demonstrieren
anscheinend leichthändig und mit unerschöpflicher Fantasie, wie das
gehen könnte. Squids Reise in die Gefilde des Bösen entwickeln sich
zu einem musikalischen Kaleidoskop, das die Gefühle in alle
Richtungen durchschüttelt. Zwischendurch auch an den Pforten der
Wahrnehmung rüttelt. Und sind wir auch durchs Kaninchenloch
reingefallen, so finden wir uns nach dem obligaten Verdauungsprozess
wo wieder? Ich weiss nicht. Ich war schliesslich noch nicht auf der Rückseite
des Mondes. Anspieltipps:
Crispy
Skin, Blood On The Boulders, Fieldworks II, Cro-Magnon
Man, Showtime
Gewalt,
Doppeldenk Clouds
Hill, 2024 - 10 Songs, 41 Min. Wut
Wave ist kein Genre, sondern Selbstbezeichnung einer Band, deren Name
schon mal das ausspricht, was weithin verpönt ist, aber denoch das
Leben durchdringt: Gewalt. Gewaltverhältnisse
durchdringen das Leben, mal subtiler verkleidet, öfter aber in
brachialer Form. Seit je. Und Kunst ist mittendrin. Doppeldenk
ist das zweite Album der Formation Gewalt, eingespielt von Helen
Henfling (git, kb, voc), Jasmin Rilke (b, perc) Patrick Wagner (git,
voc, kb) und einem gewissen Linn Drum, dessen Präsenz sehr eindrücklich
ist. Doppeldenk folgt auf das seinen Namen beherzt Lügen strafende
„Paradies“. Dieses Album trägt in seinem Namen einen Anspruch,
den weite Teile der betroffenen Menschheit oft genug gar nicht einlösen,
nämlich etwas mit „Denken“. Aber es wird lieber gefühlt. Auch
der oft beschworene „Gesunde Menschenverstand“ bewirtschaftet ja
eher Gefühltes, als Ergebnis offenen Nachenkens zu sein. Ja, das ist
tief in der Evolution dieser Menschheit verankert, die doch gerne das
zerstört, was sie zu lieben vorgibt. Hier mag auch die Triebfeder zu
diesem wenig hoffnungsfrohen, aber umwerfenden Album sein. Das
inmitten aller Finsternisse ein paar Glanzlichter leuchten lässt, die
die bedenkliche Körperlichkeit dann eben in einem moshpit sich
ausagieren lässt. Wo womöglich Rücksichtname trainiert wird, eine
Basislektion in praktischer Solidarität. Aber
treten wir einen Schritt zurück von Haltung und Text, so erkennen wir
eine elektronisch unterfütterte Groove-Machine (ein Ausdruck, von dem
ich mich stante pede selbst distanziere, aber...).
Wir erkennen Liebe, oder zumindest einen Abglanz davon. Rabiate
Brechstangen-Disco. Bisschen Kuscheln in Kunst, umgeben vom schwärzerem
Schwarz der Existenz. Angenehm neben dem Brachialen ist das unter
allem klingenden Glanz sich windende Ungelenke. Und bei all den
Triggerworten ist dieses Album von Gewalt kein Diskursrock, sondern
ein von Stroboskopblitzen erhellter Moment einer Utopie. Hedonismus
muss Sorge nicht ausschliessen. Der Druck der Verhältnisse eine
Verwandlung ebensowenig. Gewalt
spielen Ostersonntag früh, 0 Uhr, im Z-Bau. Anspieltipps:
Schwarz Schwarz, Das Kann Ich Nicht,
Jemand, Monolog Einer Drone, Trans
Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 1.4.2025 Eleanora,
Mere Consouling
Sounds, 2020! - 7 Songs, 39 Min. Ich
kann das mit Zeitlosigkeit begründen,
aber tatsächlich
bin ich erst unlängst
über
Eleanoras zweites und bislang letztes Album namens Mere gestolpert.
2020 ist es also herausgekommen, eingepielt von einem Quintett
belgischer Musiker namens Christophe
De Ridder, Jeroen De Coster, Mathieu Joyeux, Robin Broche und Stijn Witdouck.
Die auch mal einen Split mit Amenra herausgebracht haben, was durchaus
schlüssig ist. Die
Mischung ist nicht neu, wird aber von Eleanora recht überzeugend
umgesetzt. Man nehme ordentlich Hardcore und werfe ihn in einen Pit
aus Screamo, Doom und Sludge. Dann brutzelt man alles gut durch, es
darf gerne, für
den Biss, ein wenig anbrennen. Und raus kommt Musik, die mit Wut und
Wucht den Druck der Verhältnisse
aufnimmt und ihn für
die knapp 40 Minuten Spieldauer abfedert. Wenns gut läuft.
Nochmal
Stichwort Zeitlosigkeit. Es mag auch ein Hauch Nostalgie mitschwingen
- bezogen auf Zeiten, in denen sich im Metal neue Horizonte öffneten,
ein paar Regeln umgeworfen und Dinge möglich
wurden, die bis heute nachwirken. Eleanora haben das quasi inhaliert
und formen daraus mit alchemistischem Geschick etwas Eigenes. Das aber
sofort vertraut wirkt. Und mich vereinnamt, weil es mich erkannt hat.
Die zehrende Dunkelheit um die kleine Flamme in mir. Eine Flamme, die
sich nicht zuletzt auch von Musik ernährt.
Eleanora
graben da in den Eingeweiden, nicht tief vielleicht, aber hartnäckig.
Mit diesem gewissen Anspruch, nicht locker zu lassen. Und mich ins
Leben zu drücken Anspieltipps:
Amos,
Elders, Komeda Hans
Plesch für ZORES auf Radio Z,
1.4.2025 Hania
Rani,
Nostalgia Gondwana
Rec., 2024 - 9 tracks, 60 Min. Erst
mal ein paar nüchterne Fakten: Die Konzerte in Berlin (Philharmonie)
und London (Barbican) - ausverkauft. Ebenso der Salle Pleyel in Paris.
Hania Rani hat einen Lauf, seit Längerem schon. Und der scheint mir,
beim Reinschnuppern ins aktuelle Album Nostalgia, auch berechtigt.
Auch wenn das so leuchtend und schimmernd einherkommt, was ja nicht so
mein Ding ist. Aber hier weben auch Geister, in mehrerer Hinsicht. Nostalgia
ist Hania Ranis erstes Live-Album und es wurde an einem sehr
besonderen Ort eingespielt. Hanna
Raniszewska,
so der eigentliche Name der Künstlerin, ist eine polnische Pianistin,
Sängerin und Komponistin, die seit einigen Jahren ihre eigene Musik
veröffentlicht. 2015 spielte sie mit der Cellistin Dobrawa Czocher das
Album Biała Flaga ein,
das eine neoklassische Interpretation von Stücken der polnischen
Rockband Republika darstellt.
Und unter dem etwas nichtssagenden Rubrum Neoklassik liesse sich auch
ihre Musik verorten, mit markanten Schlenkern in Richtung Jazz und
Elektronica. Vor allem hat ihre Musik aber etwas, das sie darüber
hinaushebt, sie hypnotisiert und animiert zugleich, verhilft zu träumerischer
Wachheit. Nostalgia:
Polen, obgleich nach dem 2. Weltkrieg dem Sowjet-Diktat des
Sozialistischen Realismus in den Künsten unterworfen, war doch das
erste Land des Ostblocks, das sich mit dem Festival Warschauer Herbst
seit 1956 an einer zumindest musikalischen Öffnung versuchte. Von
westlichen Vorbildern inspiriert fand sich da eine ganze Schar
polnischer Avantgardisten, darunter als einer der Bedeutendsten Witold
Lutosławski. Das Studio S1 des Polnischen Rundfunks, in
dem Lutosławski oft arbeitete,
nutzte auch die junge Musikerin. Und hier wiederum gab Rani das
Releasekonzert ihre jüngsten Album Ghosts, das nun als Mitschnitt
vorliegt. Zu der Musik sagte die Musikerin folgendes:
»Mit
›Ghosts‹ wollte ich etwas von Grund auf neu beginnen, mit
Werkzeugen und Geschichten, mit denen ich nicht vertraut war, die mir
aber am Herzen lagen. ›Ghosts‹ ist eine Geschichte über Leben und
Tod, Licht und Dunkelheit, real und unwirklich. Es ist ein Versuch,
letzte Qualitäten zu berühren und meine eigenen Mythologien zu
erschaffen; mich Ängsten zu stellen, tief in Dinge einzutauchen, die
mir Angst machen, mich aber auch unbewusst verführen. ›Ghosts‹
versammelt all diese Dinge und vermischt die Vergangenheit, die
Gegenwart und die Zukunft zu einem neuen Sound von mir.« IDF
mit klassischen Instrumenten, so würde ich es mal zusammenfassend
nennen, was Hania Rani auf ihrem live-Album Nostalgia zeigt. Eine
zweite Ebene ist nicht hörbar, aber sichtbar als Beilage zum Album.
Hania Rani schuf in stillen Momenten beim Besuch des Studios sehr
atmosphärische, in, ja, nostalgischen Braun- und Grüntönen
gehaltene Fotographien dieses Arbeitsorts, der nach wie vor den Charme
eines sozialistischen Kulturorts bewahrt. Gediegen und etwas steif,
arbeitstauglich und auf etwas freudlose
Weise repräsentativ. Ein genius locus dieser Räumlichkeiten wäre
sicher in Rüschen gehüllt und verstaubt.Die pulsierende Lebendigkeit
dieser Musik würde aber auch ihn zum Tanzen bringen. Und uns dazu. Anspieltipps:
24.3., Dancing With Ghosts, It Comes In Waves, Utrata Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 1.4.2025 u
n d Sharon
Van Etten & The Attachment Theory
(same) - Jagjguwar, 2025 Who
Wants To Love Forever? Wenn mich Sharon Van Etten (und ein paar
verwandte Seelen) auf dieser Reise begleiten würden, wer weiss?
Biographisches stand oft im Mittelpunkt der Lieder der zähen Künstlerin,
die dabei ziemlich viel mit sich selber ausmachte. Hier, bei ihrem
neuen Album, hat sie sich eine muntere Band an Bord geholt, und gibt
ihrer Musik einen frischen Kick. Und bleibt dabei sie slbst. Alabaster
DePlume,
A Blade A Blade Is Whole - International Anthem, 2025 Zweifelsohne
ist Alabaster DePlume eine Kunstfigur, zugleich aber ein betörender
Musiker, Komponist und Poet. Sein vibrierendes Saxophon wird von einer
Reihe exzellenter MusikerInnen begleitet. Erzählt wird die Geschichte
einer Selbstfindung (in der Art, in der Tom Waits ein broadwaymusical
schreiben würde). Jazz ist eine dünne Folie, vor der sich das Ganze
abspielt und die Klinge, die da angesprochen wird, kann zwar
verletzen, aber auch von einer schmerzlichen Vergangenheit
losschneiden. |