Zores: Musik abseits aller Hörgewohnheiten   

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John Glacier, Like A Ribbon      

Young, 2024 - 15 Songs, 40 Min.

Alles ist verbunden. Und alles bleibt im Nebel. Mit einer wie unbeteiligt wirkenden Stimme führt die Rapperin John Glacier durch ihr Album Like A Ribbon. Ein bisschen stolpernd, aber vielleicht müssen die Schritte auch nur vorsichtig gesetzt werden. Um sich im Netz der Beziehungen nicht zu verheddern. Die freigelegt werden, wenn das Eis schmilzt.

London im Frost. Ganz so abwegig ist das natürlich nicht, aber auch nicht wirklich naheliegend. Aber London ist eben auch eine ebenso überdrehte wie abweisende Stadt. Und wenn ein/e Künstler/in Erwartungen weckt, dann öffnen sich schnell die Abgründe verzehrenden Ruhms. John Glaciers erste Veröffentlichungen beflügelten Erwartungen, die die Musikerin nun auf einem sorgsam kuratierten Debut mit Verzögerungen einlöst. Vielleicht nicht so, wie es erwartet wurde. Mich aber hat es, ich sags mal gleich, hingerissen. Aber ich hatte ja John Glacier gar nicht auf dem Schirm.

Drei Abschnitte umfasst John Glaciers Albumdebut. Like A Ribbon heisst der erste, wie das ganze Album. Es schliessen sich an Duppy Gun und Angels Trumpet. An der verschlurften und verträumten Atmosphäre ändert sich wenig. Es scheppert und spukt musikalisch weiter, so das Erinnerungen an witch house und Verwandtes nicht ausbleiben. Es wirkt aber zugleich konkreter. Wie Gespenster des Lebens, mit denen wir zusammenstossen können. Ohne uns blaue Flecken zu holen, in diesem Fall.

Beim ersten Anhören kann John Glaciers Album Like A Ribbon wie emotionsgefroren daherkommen - was ja schon mal taugt angesichts einer gefühlsüberschüssigen Welt. Aber wenn das Eis zu schmelzen beginnt zeigt sich darunter eine gar nicht so abwegige Lebendigkeit, die bloss eine Weile angehalten worden zu sein scheint. Die Musikerin kann, sehr stylish gekleidet übrigens, durchaus im Regen tanzen und wenn man sie deshalb für crazy hält - ists egal. So spriessen plötzlich klangliche bunte Blüten, plinkern Instrumente, die sich nicht so oft ins Rap-Genre verirren, fühlt sich die Welt doch ungemein lebendig an, obwohl niemand dazu eine Miene verziehen muss.

Der eminente Kwes Darko sollte als Produzent unbedingt noch erwähnt werden.

Anspieltipps: Don´t Cover Me, Money Shows feat. Eartheater, Emotions, Nevasure, Steady As I Am, Found, Ocean Steppin feat Sampha                

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 1.4.2025


Squid, Cowards

Warp, 2025 - 9 Songs, 45 Min 

Wer ist zu feig, um sich durchs Kaninchenloch hinabzustürzen? Squid sinds nicht. Und siehe da, sie landen in der Küche, wo´s knusprige Haut gibt. Doch von welchem Tier? Und zählen wir nicht dazu, zu den Tieren? Aber gewiss doch. Und hat Methode.

Das dengelt ganz schön los. Post Punk trifft auf Art Rock, Animal Collective tanzen im Dunkeln (Stromausfall!) mit den Beach Boys (Pet Sounds, aber mit Taranteln und Skorpionen, wie Cal Cashin formulierte). Aber inzwischen hat jemand ein Lagerfeuer angefacht, wenn auch nur ein kümmerliches. Hoffentlich gehts nicht gleich wieder aus.

Squid haben jetzt mit Cowards ihr drittes Album draussen. Sie haben tatsächlich eine längere Zeit zurückliegende Vergangenheit als Jazzband, die sich quasi in alle möglichen Richtungen freigespielt hat. Zu unser aller Hörvergnügen.

Ollie Judge (vocals, drums), Louis Borlase (guitar, vocals), Anton Pearson (guitar, vocals), Laurie Nankivell (bass) und Arthur Leadbetter (keyboards) wissen, samt Gästen, wie man die Bremse nochmal zackig anzieht, bevor beherzt über die Klippe gesprungen wird. Rein in ein rabenschwarzes Wunder/Unterland, wo irre gewordene Gurus, menschenfressende Kaninchen und die Grinsekatze ihr ungerührtes Wesen treiben. Cowards setzt das alles in funkenschlagende, aber auch nachgerade in sich zusammenfallende Musik, wies besser kaum geht.

Das Eckige muss ins Runde, das Schauerliche der oft genug ihm innewohnenden Banalität entkleidet werden - Squid demonstrieren anscheinend leichthändig und mit unerschöpflicher Fantasie, wie das gehen könnte. Squids Reise in die Gefilde des Bösen entwickeln sich zu einem musikalischen Kaleidoskop, das die Gefühle in alle Richtungen durchschüttelt. Zwischendurch auch an den Pforten der Wahrnehmung rüttelt. Und sind wir auch durchs Kaninchenloch reingefallen, so finden wir uns nach dem obligaten Verdauungsprozess wo wieder? Ich weiss nicht. Ich war schliesslich noch nicht auf der Rückseite des Mondes.

Anspieltipps: Crispy Skin, Blood On The Boulders, Fieldworks II, Cro-Magnon Man, Showtime     

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 1.4.2025 

Gewalt, Doppeldenk

Clouds Hill, 2024 - 10 Songs, 41 Min.

Wut Wave ist kein Genre, sondern Selbstbezeichnung einer Band, deren Name schon mal das ausspricht, was weithin verpönt ist, aber denoch das Leben durchdringt: Gewalt.

Gewaltverhältnisse durchdringen das Leben, mal subtiler verkleidet, öfter aber in brachialer Form. Seit je. Und Kunst ist mittendrin.

Doppeldenk ist das zweite Album der Formation Gewalt, eingespielt von Helen Henfling (git, kb, voc), Jasmin Rilke (b, perc) Patrick Wagner (git, voc, kb) und einem gewissen Linn Drum, dessen Präsenz sehr eindrücklich ist. Doppeldenk folgt auf das seinen Namen beherzt Lügen strafende „Paradies“. Dieses Album trägt in seinem Namen einen Anspruch, den weite Teile der betroffenen Menschheit oft genug gar nicht einlösen, nämlich etwas mit „Denken“. Aber es wird lieber gefühlt. Auch der oft beschworene „Gesunde Menschenverstand“ bewirtschaftet ja eher Gefühltes, als Ergebnis offenen Nachenkens zu sein. Ja, das ist tief in der Evolution dieser Menschheit verankert, die doch gerne das zerstört, was sie zu lieben vorgibt. Hier mag auch die Triebfeder zu diesem wenig hoffnungsfrohen, aber umwerfenden Album sein. Das inmitten aller Finsternisse ein paar Glanzlichter leuchten lässt, die die bedenkliche Körperlichkeit dann eben in einem moshpit sich ausagieren lässt. Wo womöglich Rücksichtname trainiert wird, eine Basislektion in praktischer Solidarität.

Aber treten wir einen Schritt zurück von Haltung und Text, so erkennen wir eine elektronisch unterfütterte Groove-Machine (ein Ausdruck, von dem ich mich stante pede selbst distanziere, aber...).  Wir erkennen Liebe, oder zumindest einen Abglanz davon. Rabiate Brechstangen-Disco. Bisschen Kuscheln in Kunst, umgeben vom schwärzerem Schwarz der Existenz. Angenehm neben dem Brachialen ist das unter allem klingenden Glanz sich windende Ungelenke. Und bei all den Triggerworten ist dieses Album von Gewalt kein Diskursrock, sondern ein von Stroboskopblitzen erhellter Moment einer Utopie. Hedonismus muss Sorge nicht ausschliessen. Der Druck der Verhältnisse eine Verwandlung ebensowenig.

Gewalt spielen Ostersonntag früh, 0 Uhr, im Z-Bau.

Anspieltipps: Schwarz Schwarz, Das Kann Ich Nicht,           Jemand, Monolog Einer Drone, Trans   

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 1.4.2025


Eleanora, Mere

Consouling Sounds, 2020! - 7 Songs, 39 Min.

Ich kann das mit Zeitlosigkeit begründen, aber tatsächlich bin ich erst unlängst über Eleanoras zweites und bislang letztes Album namens Mere gestolpert. 2020 ist es also herausgekommen, eingepielt von einem Quintett belgischer Musiker namens Christophe De Ridder, Jeroen De Coster, Mathieu Joyeux, Robin Broche und Stijn Witdouck. Die auch mal einen Split mit Amenra herausgebracht haben, was durchaus schlüssig ist.

Die Mischung ist nicht neu, wird aber von Eleanora recht überzeugend umgesetzt. Man nehme ordentlich Hardcore und werfe ihn in einen Pit aus Screamo, Doom und Sludge. Dann brutzelt man alles gut durch, es darf gerne, für den Biss, ein wenig anbrennen. Und raus kommt Musik, die mit Wut und Wucht den Druck der Verhältnisse aufnimmt und ihn für die knapp 40 Minuten Spieldauer abfedert. Wenns gut läuft.

Nochmal Stichwort Zeitlosigkeit. Es mag auch ein Hauch Nostalgie mitschwingen - bezogen auf Zeiten, in denen sich im Metal neue Horizonte öffneten, ein paar Regeln umgeworfen und Dinge möglich wurden, die bis heute nachwirken. Eleanora haben das quasi inhaliert und formen daraus mit alchemistischem Geschick etwas Eigenes. Das aber sofort vertraut wirkt. Und mich vereinnamt, weil es mich erkannt hat. Die zehrende Dunkelheit um die kleine Flamme in mir. Eine Flamme, die sich nicht zuletzt auch von Musik ernährt.

Eleanora graben da in den Eingeweiden, nicht tief vielleicht, aber hartnäckig. Mit diesem gewissen Anspruch, nicht locker zu lassen. Und mich ins Leben zu drücken

Anspieltipps: Amos, Elders, Komeda

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 1.4.2025


Hania Rani, Nostalgia

Gondwana Rec., 2024 - 9 tracks, 60 Min.

Erst mal ein paar nüchterne Fakten: Die Konzerte in Berlin (Philharmonie) und London (Barbican) - ausverkauft. Ebenso der Salle Pleyel in Paris. Hania Rani hat einen Lauf, seit Längerem schon. Und der scheint mir, beim Reinschnuppern ins aktuelle Album Nostalgia, auch berechtigt. Auch wenn das so leuchtend und schimmernd einherkommt, was ja nicht so mein Ding ist. Aber hier weben auch Geister, in mehrerer Hinsicht.

Nostalgia ist Hania Ranis erstes Live-Album und es wurde an einem sehr besonderen Ort eingespielt. Hanna Raniszewska, so der eigentliche Name der Künstlerin, ist eine polnische Pianistin, Sängerin und Komponistin, die seit einigen Jahren ihre eigene Musik veröffentlicht. 2015 spielte sie mit der Cellistin Dobrawa Czocher das Album Biała Flaga ein, das eine neoklassische Interpretation von Stücken der polnischen Rockband Republika darstellt. Und unter dem etwas nichtssagenden Rubrum Neoklassik liesse sich auch ihre Musik verorten, mit markanten Schlenkern in Richtung Jazz und Elektronica. Vor allem hat ihre Musik aber etwas, das sie darüber hinaushebt, sie hypnotisiert und animiert zugleich, verhilft zu träumerischer Wachheit.

Nostalgia: Polen, obgleich nach dem 2. Weltkrieg dem Sowjet-Diktat des Sozialistischen Realismus in den Künsten unterworfen, war doch das erste Land des Ostblocks, das sich mit dem Festival Warschauer Herbst seit 1956 an einer zumindest musikalischen Öffnung versuchte. Von westlichen Vorbildern inspiriert fand sich da eine ganze Schar polnischer Avantgardisten, darunter als einer der Bedeutendsten Witold Lutosławski. Das Studio S1 des Polnischen Rundfunks, in dem Lutosławski oft arbeitete, nutzte auch die junge Musikerin. Und hier wiederum gab Rani das Releasekonzert ihre jüngsten Album Ghosts, das nun als Mitschnitt vorliegt. Zu der Musik sagte die Musikerin folgendes:                

»Mit ›Ghosts‹ wollte ich etwas von Grund auf neu beginnen, mit Werkzeugen und Geschichten, mit denen ich nicht vertraut war, die mir aber am Herzen lagen. ›Ghosts‹ ist eine Geschichte über Leben und Tod, Licht und Dunkelheit, real und unwirklich. Es ist ein Versuch, letzte Qualitäten zu berühren und meine eigenen Mythologien zu erschaffen; mich Ängsten zu stellen, tief in Dinge einzutauchen, die mir Angst machen, mich aber auch unbewusst verführen. ›Ghosts‹ versammelt all diese Dinge und vermischt die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft zu einem neuen Sound von mir.«
Gut, von musikalischen Experimenten der Neuen Musik ist das weit entfernt. Aber der Sog, den Ranis Musik entwickelt, ist ziemlich unwiederstehlich. Und Geister sind auch da, immer so am Rand der Wahrnehmung.

IDF mit klassischen Instrumenten, so würde ich es mal zusammenfassend nennen, was Hania Rani auf ihrem live-Album Nostalgia zeigt. Eine zweite Ebene ist nicht hörbar, aber sichtbar als Beilage zum Album. Hania Rani schuf in stillen Momenten beim Besuch des Studios sehr atmosphärische, in, ja, nostalgischen Braun- und Grüntönen gehaltene Fotographien dieses Arbeitsorts, der nach wie vor den Charme eines sozialistischen Kulturorts bewahrt. Gediegen und etwas steif, arbeitstauglich und auf etwas  freudlose Weise repräsentativ. Ein genius locus dieser Räumlichkeiten wäre sicher in Rüschen gehüllt und verstaubt.Die pulsierende Lebendigkeit dieser Musik würde aber auch ihn zum Tanzen bringen. Und uns dazu.

Anspieltipps: 24.3., Dancing With Ghosts, It Comes In Waves, Utrata    

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 1.4.2025

u n d

Sharon Van Etten & The Attachment Theory (same) - Jagjguwar, 2025

Who Wants To Love Forever? Wenn mich Sharon Van Etten (und ein paar verwandte Seelen) auf dieser Reise begleiten würden, wer weiss? Biographisches stand oft im Mittelpunkt der Lieder der zähen Künstlerin, die dabei ziemlich viel mit sich selber ausmachte. Hier, bei ihrem neuen Album, hat sie sich eine muntere Band an Bord geholt, und gibt ihrer Musik einen frischen Kick. Und bleibt dabei sie slbst.

Alabaster DePlume, A Blade A Blade Is Whole - International Anthem, 2025

Zweifelsohne ist Alabaster DePlume eine Kunstfigur, zugleich aber ein betörender Musiker, Komponist und Poet. Sein vibrierendes Saxophon wird von einer Reihe exzellenter MusikerInnen begleitet. Erzählt wird die Geschichte einer Selbstfindung (in der Art, in der Tom Waits ein broadwaymusical schreiben würde). Jazz ist eine dünne Folie, vor der sich das Ganze abspielt und die Klinge, die da angesprochen wird, kann zwar verletzen, aber auch von einer schmerzlichen Vergangenheit losschneiden.