Zores: Musik abseits aller Hörgewohnheiten Jeden 1. Dienstag im Monat 21 - 24 Uhr bei Radio Z 95,8 MHz |
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Ikue
Mori,
Obelisk, Tzadik,
2017 - 10 tracks, 43 Min. Freie
Musik für freie Geister. Schon seit langem begleitet uns die
Laptop-Musikerin Ikue Mori in dieser Sendung, zuletzt mit dem Phantom
Orchard Projekt mit der Avant-Harfenistin Zeena Parkins. Nun hat sie
ein neues Ensemble um sich versammelt und zugleich exakt notierte Klänge
in ihr Repertoire aufgenommen. Ikue
Mori war Ende der 70er Jahre von ihrem Geburtsort Tokio nach New York
gezogen und spielte dann ohne nennenswerte Ausbildung Schlagzeug bei
dem legendären NoWave Projekt DNA. Später agierte sie als Improvisatorin mit drummachines und
Samples, bevor sie den Laptop als Musikwerkzeug für sich entdeckte
und auf höchst originelle Weise nutzbar machte. Ikue Mori ruft auf
ihrem Sampler Geräusche zwischen kühler Elektronik und vitalen
Naturlauten ab, um die Klangebenen höchst lustvoll und verspielt zu
verbinden. Impressionistisches Rauschen im imaginären Blätterwald
bildet einen Teil der so erschaffenen Musik, die anderseits auch ins
unbehaglich Schräge und bedrängend Geräuschhafte kippen kann. Solo
und mit anderen MusikerInnen zusammen entstanden so Klangstücke von
eigenartigem Reiz, schillernd zwischen Neuer Musik, Tanzimpulsen,
Death Ambient oder auch mal Jazz, ohne sich dabei festzulegen. Für
ihr Album Obelisk hat Ikue Mori neben einigen Stücken aus dem Phantom
Orchard-Umfeld auch vieles neu geschrieben, in die Finger und Hände
ihres exquisiten Ensembles. Okkyung Lee spielt Cello, Jim Black
Schlagzeug und Sylvie Courvoisier Klavier – alle setzen eigene
Akzente in den oft träumerischen, manchmal schrofferen, farbenreichen
Klangstudien. Und mitten drin das charakteristische Schwirren, Fiepen,
Klingeln und Knarren von Ikues Laptop, das das Bild wild wuchernder
Vegetation, von Metamorphosen, Rhizomen und Verwandlungen
unterstreicht. Und natürlich sind die Stücke von Natur inspiriert,
Pflanzen, Insekten und schlaflosen Vögeln. Das natürliche Wachsen
und die technische Möglichkeiten der Verwandlung sind so etwas wie
das Thema von Ikue Moris klangsattem Album Obelisk. Die vier
gutgelaunten MusikerInnen spielen sich die Bälle scheinbar ohne
Anstrengung zu. Überhaupt haftet dieser Musik nichts Schweres an.
Selbst Geräuschhaftes klingt kaum ungemütlich – es ist nur eine
weitere Klangfarbe in diesem weitgespannten Kosmos. Woher nimmt Kunst
ihren Ausgang? Diese Frage, die Ikue Mori immer wieder beschäftigt
hat, wird auch hier wieder nicht beantwortet. Das ist auch gar nicht nötig.
Jedenfalls trifft das etwas aus der Zeit gefallene Adjektiv apart Ikue
Moris umstandslos faszinierenden Klangzauber recht gut. Anspieltipps:
Quicksilver,
Invisible Fingers, Hotaru (Firefly), Steel Cave, Insomniac Bird
Hans
Plesch für ZORES
auf
Radio Z,
5.2.2019
Farai,
Rebirth, Big
Dada, 2018 - 11 Songs, 35 Min. Alles
nicht so lustig da draussen, im UK wie der Welt als solchen. Und auch
der Weltraum ist nur mehr ein Ort, der den Superreichen zur Verfügung
steht. Da könnte eins schon verzweifeln. Oder sauer werden. oder
schliesslich eine Musiktherapie machen, an deren Ende aus lauter
Verdruss doch so etwas wie Spass steht. Farai, der Londonerin mit
Wurzeln in Simbabwe, ist genau das gelungen. Rebirth heisst ihr Album,
eine Wiedergeburt aus dem Geist von Trotz und Musik. Haltung
zeigen angesichts einer miesen Welt. Vielleicht verbindet das Farai
mit Greta Thunberg und anderen, hier umgesetzt in kantige, beinah
karge Musik, für die überwiegend der guyanisch-walisische Produzent
Tone zeichnet. Adressiert wird, wie schon von den Sex Pistols, ua die
aus Funk und Fernsehn bekannte Lizzie, die weltenthoben über dem
Scherbenhaufen thront, den ihr Bodenpersonal angerichtet hat. Nun gut,
sie hat ja eigentlich keine Macht über die National Gangsters, die
ungehinderten Zugriff auf das Volksvermögen haben und ihre Kohle
zugleich angesichts des Brexits ausser Kronland schaffen. In blühenden
präapokalyptischen Zeiten wie diesen, in denen es an den Hängen des
Vulkans nicht ganz Wenigen einigermassen gut geht: Was ist da zu tun,
um die in den Blick zu bekommen, die von den Brosamen existieren, die
vom Tisch der SUVisten aller Länder fallen? Ihnen zuhören, dieser
disparaten Menge, denen zuhören, die ihre Stimme erheben und dann was
sagen, was sich in der wohleingerichteten Blase gar nicht gut anhört?
Ich weiss es auch nicht, denn es gibt für mich auch Grenzen des
Missvergnügens. Hier jedoch nicht, wie ich meine. So, aber ich bin
vom Thema abgekommen, wieder mal. Harte Zeiten also. Gute Zeiten
eigentlich für sperrige Musik, die das Unwohlsein nicht in Watte
packt. Doch das taugt halt all den Fischer-Chören nicht, die sich
gern mal durch die Nacht träumen. Farai träumt nicht, sie hat genug
gesehen. Knurrige Synthesizer, sperrige Bassläufe, das ausgezehrte
Arsenal, das Grime und Postpunk zur Verfügung stellen, kommt hier auf
den Punkt zum Einsatz und taugt prima als Grundlage für die sehr
souveräne Stimme. „It’s
time for the bright young things to rise“ singt Farai
Bukowski-Bouquet, und angesichts der mosernden alten Männer (und
Frauen allen Alters), die an ihrem hergebrachten Erbe kleben, ist ihr
da zuzustimmen. Nicht nur, weil das Album eine neue, migrantisch geprägte
Formulierung von Punk ist, sondern weil es trotz allem Freude
macht (Farai=Freude). Anspieltipps:
Lizzie,
Talula,
This is England, National Gangsters,
Secret Gardens Hans
Plesch für ZORES
auf
Radio Z,
5.2.2019
Planningtorock,
Powerhouse, |Pias|,
2019 - 10 Songs, 42 Min. In
Bolton gab es ein Kraftwerk und das war Jam Rostrons Mutter, die den
familiären Laden trotz schwerer Krankheit zusammenhielt und die Macht
der Musik predigte, allen Alltagsbeschwernissen zum Trotz. Hat sich
Rostron aka Planningtorock auf den vorangegangenen Alben vor allem mit
Gender- und Queerness-Fragen und -Antworten beschäftigt, so wird es
diesmal persönlich. Bei allem Zu-sich-kommen ein Blick zurück auf
die Familie, die ein Klotz am Bein sein kann und ein Rückhalt, der
Auftrieb gibt. Eingefangen hat das Planningtorock über weite Strecken
mit dem charakteristischen Autotune-Gesang und gewohnt hell-sparsamen
Synthiesounds. Powerhouse ist also vor allem ein persönliches Album,
das auf eine Kindheit und Jugend in nicht eben gehobenen Verhältnissen
zurückblickt. Verletzungen, eine autistische Schwester, Verwirrungen
auf einem Weg, der zu künstlerischem Werk und zur Selbstfindung führt,
zu einem geschlechtlich nicht festgelegten Menschen, der/die das noch
in allerhand Kostümierungen auf die Bühne bringt. Und mit sierem
Auftreten gerne auch mal provoziert, aber vor allem die Augen öffnet.
All Love´s Legal hiess nicht umsonst das letzte Album. Der
Körper, dieses merkwürdige Gefäss eines Ichs. Zumeist einigermassen
passend zur Person, als die sich begriffen wird, aber eben nicht immer
– die Natur verzichtet nicht auf Übergänge. Jam Rostron hörte
siere Stimme, als sie elektronisch heruntergepitcht wurde als die
eigene. Diese Stimme verwandelte Planningtorock zunächst zu einem
Kunstwesen und dann zu einem Menschen zwischen den Geschlechtern, als
der sie/er sich begreift. Umso bewegender, wenn auf Powerhouse auch
die „echte“ Stimme in einem Song über die Schwester Beulah
erklingt. Natürlich ist das politisch, in aufgeregten Zeiten wie
diesen zumal. Das Gefühl, dass etwas zu Ende geht, befördert das
Festhalten an anscheinend Vertrautem, wenn auch nie Hinterfragten. All
das Unbekannte, die X-Faktoren menschlicher Existenz, die sich als
Identitäten konstituieren, kollidieren mit den binären Codes, die
bislang die (westliche) Welt oben hielten (von ein paar lästigen
Vernichtungsorgien abgesehen doch immer auf dem Pfad des
Fortschritts). Planningtorock ist eine persongewordene
In-Frage-Stellung. Und als Künstler*in so vielfach angreifbar, nicht
nur wegen der etwas billig (oder sparsam?) einher kommenden
Synthiesounds, die die perfektionistischen Standards zeitgemässer
Dance Music ebenso unterlaufen wie die darin gepflegte Hochglanzästhetik.
Planningtorocks Version von House ist offenbar künstlich-künstlerisch,
aber mit Spuren von Körperflüssigkeiten. Von Leben eben. Das so
einfach sein kann, mit Musik, und jederzeit kompliziert. Dazwischen:
der Ort, wo wir uns die meiste Zeit befinden. Am
besten mit berührenden Musik.
Anspieltipps:
Dear
Brother, Somethings More Painful Than Others, Jam of Finland, Beulah
Loves Dancing, Powerhouse Hans
Plesch für ZORES
auf
Radio Z,
5.2.2019
Julia
Holter,
Aviary, Domino
Rec., 2018 – 15 Songs, 41´+ 48´ Steck
den Kopf in eine Voliere voller Vögel und lass dich von ihren Flügeln
davontragen. So darf mensch sich den ersten Eindruck von Julia Holters
neuem, in jeder Hinsicht üppigen Album Aviary vorstellen. Und für
sie war der Satz Inspiration. Und dich trägt es davon, in alle möglichen
Richtungen, unterschiedliche Zeiten, unerwartete Räume. Zwischen
verträumtem Kammerpop und gewaltig brodelndem Songwriting ist Julia
Holter hier auf der Höhe ihrer Kunst und umschifft die Kliffs von
blossem Schönklang durch ihre Fähigkeiten, ihre Musik auch
bezaubernd sperrig und schräg klingen zu lassen.
Zuviel
Musik, zuviel Verweise, zuviel Songs – von allem zuviel: So könnte
der Eindruck auch lauten nachdem Julia Holters Doppelalbum erstmal
durchgelaufen ist. In Zeiten von Spotify-Playlisten ein so
ambitioniertes Werk herauszubringen grenzt so gesehen schon an Grössenwahn.
Zumal es doch alles disponiert ist, voller Bezüge, quasi rhythmisch
durchkomponiert (obwohl improvisatorisch entstanden). Aber das ist die
Herausforderung, die nicht eben dadurch kleiner wird, das Aviary so
„kulinarisch“ einherkommt, allerdings ohne sich stilistisch
einordnen zu lassen. „Lecker“ diese üppigen Sounds, delikat die
Klänge, angenehm im Ohr die Melodien. Opulent, nachgerade barock,
strahlend exaltiert: Alles, was an Julia Holter und ihrem Faible für
kulturelle Verankerungen schon bislang zu bestaunen war, steuert hier
auf einen Höhepunkt zu, der nicht einmal vor einem Dudelsack zurückschreckt
(und Trompeten schon gar nicht). Und Glanzlicht ist ohne Zweifel ihre
strahlende Stimme. Aviary ist eine akustische Wunderkammer, in der die
Gedanken und Erinnerungen frei herumstreifen und sich immer wieder zu
betörend-irritierenden Songs zusammenfinden. Die müssen im Einzelnen
gar nicht dechiffriert werden, sind sie im Ganzen doch stimmig. Eine
epische Reise durch eine Welt, in der die Zusammenhänge drohen,
verloren zu gehen. Und deren lose Fäden dann wieder zusammenfinden,
verfugt durch eine überbordende Musik, die das Zerbrechliche ihrer
Schönheit jederzeit in sich eingeschrieben trägt. Von einer Phrase
zur nächsten hangele ich mich da – es ist ja alles nicht falsch,
aber zugleich ist Julia Holters Kunst unter ihrer literarischen und
klanglichen Verkleidung… nun ja: Einfach. Einfach grossartige
atemberaubende Songs. Mit einer kleinen Botschaft darin von Liebe,
Empathie und Nahbarkeit in einer unübersichtlichen Welt. "Send
up now, push us up above all the world." singt Julia Holter
ausserdem. Getragen
von Flügeln unüberwindbarer Musik. Anspieltipps:
Turn
the Light on, Chaitius, Every
Day Is An Emergency, In Garden´s Muteness, I Would Rather See, Les
Yeux to You
Hans
Plesch für ZORES
auf
Radio Z,
5.2.2019
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