Zores: Musik abseits aller Hörgewohnheiten Jeden 1. Dienstag im Monat 21 - 24 Uhr bei Radio Z 95,8 MHz |
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Current 93,
If A City Is Set Upon A Hill
House
of Mythology, 2022 - 7 Sermons, 37 Min. Vielleicht
gibt es kein Label, das schon vom Namen her für David Tibets Veröffentlichungen
geeigneter wäre als House of Mythology. Denn aus Mythen, alten
Sprachen (und viel Folk Music) baut sich der kreisende Kosmos von
Current 93 nun schon seit Jahrzehnten. Der Titel des aktuellen Albums
If A City Is Set Upon A Hill klingt nach biblischer
Verheissung, auch wenn weder das hochgebaute Jerusalem noch die Hügel
des Capitols angesprochen werden, vielmehr verdankt er sich ungleich
älteren akkadischen Texten. In denen ein unternehmungslustiger Künstler
wie Tibet eben auch gerne blättert. Der
Ton ist von Anfang an gesetzt: Musikalisch bleibt Current 93s
aktuelles Album If A City
Is Set Upon A Hill dem Neofolk in seiner elegischsten Ausprägung eng
verbunden. Eine Riege vertrauter und grossartiger MusikerInnen unterstützt
den deklamatorischen Sprechgesang beim Bahnen der Wege der Musik: Alasdair
Roberts: Guitars, Autoharp, Synthesizer, Backing Vocals. Vor
allem Aloma Ruiz Boadas Geigenspiel prägt
das musikalische Geschehen über
weite Strecken und verleiht ihm einen eigenen Ton. (Der ohne Tibets so
eigene Stimme natürlich
trotzdem undenkbar ist.) Natürlich
ist Current 93 ohne die integrierte Obsessionen nicht recht
vorstellbar. Der apokalyptische Mond juxt halt über
allem, trotzt der Stadt auf dem Hügel
und schaut ungerührt
dem Mord Kains an Abel zu, auf dem Cover in hübschen,
fast naiven Holländischen
Kacheln in Blau verewigt. Aber was heisst schon ewig. So sehr wir mit
David Tibet in den Spuren der Vergangenheit wandern, so gilt doch
stets auch, wir sind alle nur aus Staub. Manchmal aber bringt dieser
Staub Dinge auf bemerkenswerte Weise zum Erklingen. Anspieltipps:
If A City, There Is No Zodiac, A
Column Of Dust Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 7.6.2022 Savage Republic,
Meteora
gusstaff
records, 2022 - 9 tracks, 39 Min. Die
1980er, schon wieder. Savage Republic erschienen an ungewöhnlichen
Orten in Los Angeles und behexten den üblichen auserlesenen kleinen
Kreis mit Musik, in der Industrial, Postpunk, Ritual und (sogar)
Surfgitarren ihren Platz fanden. Von den Gründern ist niemand mehr
dabei, Thom Fuhrmann sowie Ethan Port immerhin aber seit 1985, dazu
auch seit Jahren Alan Waddington und Kerry Dowling. In den 2000er
Jahren gabs nur mehr alle paar Jahre akustische Lebenszeichen, das
durchaus muntere Meteora trennen auch wieder sieben Jahre vom Vorgänger.
Musste das also sein? Ich finde, ja. Das klingt, in seiner oldschool
anmutenden Gestaltung wie prima über die Zeit gekommen. Markantes
Scheppern und Hallen, dazu gehörige Intensität und eine Prise
Pathos: Ein Rezept, das sich über die Jahre bewährt hat: Savage
Republic sind sich da treu geblieben und setzen bei diesem
kurzweiligen Album einfach wieder drauf. Standesgemäss wurde in so
etwas in einer geheimnisvollen Höhle aufgenommen, was dem Klangbild
kinoartige Weite verschafft. Hier rollt die Musik wie eine Welle, und
lädt zum Einsteigen ein. Bei aller beschworenen Dystopie, für die
Savage Republic ja auch steht, hat das was Belebendes. Meteora
überzeugt auch, aber nicht nur, mit seinem kraftvollen Sound. Natürlich
ist der Gestaltungswille nicht zu überhören, auch die Präzision des
militanten drummings. Ungehemmte Extase ist hier nicht vorgesehen,
Emotionen äussern sich eher in klagloser Melancholie. Es ist kein
Zufall, dass Graham Lewis von Wire einen Song beigesteuert hat. Wer
gerne beinah ungestüme Musik gepaart mit Kunstwillen hört, ist hier
jedenfalls richtig. Anspieltipps:
Nothing At All, Gods &
Guns, Bizerte Rolls, Unprecedented, Ghost Light Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 7.6.2022 Nurse With Wound,
Opium Cabaret
ICR,
2021 - 4 tracks, 75 Min. Nurse
With Wound könnte als ein einziger, vielgestaltiger Traum aufgefasst
werden, in dem Steven Stapleton seit ca. 1978 musikalisch zuhause ist.
Ein Traum, der mal kühn imaginäre Räume aufreisst, sich surreale
Welten aufbaut, die sodann detailverliebt umrundet werden, und ab und
zu Popsounds wie Schlieren einfliessen lässt durch Öffnungen, die
alles andere als geheuer sind. Und dann zieht dieser weltenweite Traum
sich auch immer mal in sich selbst zurück, träumt von sich, wie er
einen Traum halluziniert und liegt und atmet, auf einer Chaiselongue
und die Geräusche um ihn werden langsamer, schieben sich ineinander
und dröhnen zuletzt wie eine starre gelbe Tapete. Sie bedeckt die Wände
des Opium Cabarets. Ursprünglich zwei längliche Stücke als Vinyl,
die auf der CD um zwei Tracks erweitert wurden, die Colin Potter, seit
langem ein Mitstreiter Steven Stapletons, aus adäquatem Material
zusammengefügt hat. Der
Rausch, der dem Opium entwächst, heisst es, macht träge und gleichgültig.
Aber doch auch empfangsbereit mit allen Sinnen. Die Poeten des Bösen
im 19. Jahrhunderts haben dieser Vorstellung gehuldigt und auch für
die Surrealisten, denen wiederum Nurse With Wound sich eng verbunden fühlen,
war das vermutlich noch die zugänglichste Droge nach Haschisch.
Ambient ist womöglich das perfekte musikalische Pendant dazu, mit
Spuren von Psychedelica angereichert und einer Prise Geräuschmusik
und so offeriert Opium Cabaret von NWW erstmal nichts Neues, vielmehr
sogar einen Rückgriff auf die eigene Diskographie mit Soliloqui for
Lilith. Hier aber wirkt alles zwar angenehm benebelt, aber doch auch
auf eine interessante Art granularer, verspulter. In Zeitlupe schiebt
sich die Welt vorbei und kippt in sich zusammen, es ist auf einmal hörenswert
genug, um da nicht mitzutun.
Anspieltipps:
Floating Body, Pigment Drift Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 7.6.2022 Illusion Of
Safety,
New Rules, Same Game, Less Instruction
Drone
Rec., 2021 - 7 tracks, 54 Min. 1994
veröffentlichte Illusion Of Safety knapp 20 Minuten Geräuschklang
unter dem Namen Rules of the Game. Nun, im letzten Jahr und nach einer
kurzen Schaffensunterbrechung des seit den 1980er Jahren aktiven
Projekts folgte bei Drone Records New Rules, Same Game, Less
Instruction. Dan Burke, den Mann hinter IOS, interessierten stets die
Bedingungen sozialer, politischer und psychologischer Interaktion und
Kontrolle. Die frühen Veröffentlichungen orientierten sich am
harschen sound quasiklassischer Industrialproduktionen, aber das war
Ausgangspunkt einer Entwicklung, die zu differenzierterer, auch an
Stille sich orientierter Klang- und Verhaltensforschung führte. So
ist auch diese Veröffentlichung eher subtil und vielfältig
texturiert als dröhnend und imposant. Das
gleiche Spiel, aber mit neuen Regeln und weniger Anweisung. Was nach
Spieltheorie klingen könnte, wird hier auf dem Feld von Musik und Geräusch
ausgelotet. Subtil, ohne Schockmomente, dafür mit einer Art
akustischer Lupe werden Klangpartikel unterschiedlichster Herkunft
seziert und übereinander geschoben. All das in langem, ruhigem Fluss,
was zunehmende Desorientierung von HörerIn nicht ausschliesst.
Vielleicht sogar verstärkt. Das collagierte Artwork liefert zwar
erste Hinweise, aber die Umsetzung in den einzelnen tracks ist noch um
einiges halluzinogener. Illusion Of Safety zeigt mit dieser Folge
elektroakustischer Versuchsanordnung ein ausgesprochen vergnügliches
Spiel, das sich jedes mal aufs Neue geänderten Regeln unterwirft und
das Beste daraus macht, was ja im Alltag nicht immer so gelingt. Anspieltipps:
Uneven Playing Field, Ignorance Is Bliss, Malicious Intent Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 7.6.2022 LINGUA IGNOTA,
Sinner Get Ready
Sargent
House, 2021 - 9 Songs, 56 Min. Da
wäre schon mal die Gewalt. Gewalt in Beziehungen, Gewalt gegen
Frauen. Gewalt durch Glauben. Kristin Hayter hat da Erfahrungen machen
müssen. Und ist diesen mit Kunst begegnet, mit ihrem Projekt LINGUA
IGNOTA (Unbekannte Sprache). Zunächst mit vokalen Ausbrüchen und in
einem elektronischen Setting (Caligula, 2019), hier, bei Sinner Get
Ready auf dem Boden und Grasland des verlassenen Pennsylvania, mit
akustischen Instrumenten. Das macht nichts heiler. Denn da sind noch
die Samples von Predigern und Konsorten. Da ist kein Höllenfeuer
fern. Und nichtmal Heuchelei. Kirchenatmosphäre
und die entvölkerten Landschaften der Appalachen: Dieses Terrain
reisst Sinner Get Ready von LINGUA IGNOTA mal andächtig, mal wild
bewegt auf. Die furienhaften Ausbrüche vorheriger Alben sind hier
zwar weitgehend einer sakralen Stimmung gewichen, doch beruhigend ist
das an keiner Stelle. Weder Anna von Hausswolff noch Diamanda Galas
machen ja Musik zum Wohlfühlen und die beiden Referenzpunkte muss ich
bei allen Unterschieden erwähnen. Denn natürlich ist Sinner Get
Ready, das im coronabestimmten Rückzug entstanden ist, ein zutiefst
zerrissenes Album. Selbst oder gerade da, wo pennsyvanische Legenden
und Landschaften stimmungsvoll mit Folk-Instrumenten untermalt werden.
Denn auch davon gibts reichlich. Ryan Seton spielt überhaupt mit
allerlei Klangerzeugern. Nicht nur Klarinetten und Saxophonen, sondern
auch deren Mundstücken, Glocken und Triangel. Seth Manchester ist mit
Keyboards, Elektronik und Percussion zu hören, Kristin Hayter singt
und growlt, spielt Klavier, Orgel, Cello und Banjo. Es ist also auch
rein musikalisch gesehen viel geboten in diesem akustischen Theater,
auch wenn es sich gelegentlich in sich selbst zu verkriechen scheint.
Ausdrucksstark und unausgewogen, monströs und lieblich lauter, voller
Höllenhymnen und Klagegesängen: Sinner Get Ready ist nicht dazu
angetan, HörerIn kaltzulassen. Ein musikalischer Exorzismus, und auch
wieder nicht. Denn bei aller Entschiedenheit ist sich Kristin Hayter
der Ambivalenzen bewusst, die sie beschwört. Der schmale Grat
zwischen Inbrunst und Ignoranz, den nicht nur die Kirchen bespielen.
Das Zwiespältige berechtigter Gefühle. Die Unbewegtheit der Natur
angesichts menschlicher Schicksale, die doch auch vom Menschen
zugerichtet wird. All das beschwört Sinner Get Ready von LINGUA
IGNOTA. Und hinterlässt starke Bilder statt verbrannter Erde.
Anspieltipps:
The Order of the Spiritual Virgins, Many Hands, Repent Now Confess
Now, The Sacred Linament of Judgement, Man Is Like A Spring Flower Hans
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Z, 7.6.2022 Amenra,
De Doorn (Version 2)
Relapse
Rec., 2022 - 5 Songs, 47 Min. Amenra sind stets mehr als eine Band. Bildende Kunst und Literatur sind Teil der Church of Ra, die sich als Künstlerkollektiv in verschiedener Ausprägung begreifen. Schmerzliche Erfahrungen und Verluste wurden in den Alben der „Mass“ Reihe verarbeitet. Bei De Doorn ist manches anders.. Es ist ein Projekt, in das Wünsche und Erfahrungen verschiedenster Menschen eingegangen sind, die von der Band aufgegriffen und musikalisch umgesetzt wurden Es gab ein Sulptur, es gab ein Ritual als Beginn und es gibt jetzt zwei Fassungen dieses Albums. Schon bei Mass VI gab es ja eine US und eine Europa-Version, hier sind Amenra noch einen Schritt weiter gegangen und haben sich gefragt, was unterschiedliche Mixe und Master (und partielle Neuaufnahmen) mit ihrer Musik anstellen (können). Hier aber kein Vergleich, dafür sind die KollegInnen von ZOSH besser präpariert. Hier nur eine Musik von dunkler Schönheit und abenteuerlicher Spannkraft. Tief geerdet wird diese Musik im Übrigen durch Songtexte in flämischer Sprache. Düstere
Atmophäre, zähe Riffs und verzweifelte Schreie machen des Kern der
Musik von Amenra aus und ihre Grösse. Ein paar Nuancen finden sich
aber auf De Doorn. Die Zeit zieht sich zunehmend, der Spannungsbogen
geht näher ans Zerreissen - ohne dass des dazu kommt. Aber HörerIn
wird da schon zusätzlich gefordert. Ebenso von den spoken words, die
Colin van Eeckhout so gänsehauterzeugend flüstert, bevor die dröhnende
Musik an Fahrt gewinnt und gewohnte growls die Atmosphäre bestimmen.
Dann verschiebt sich der Fokus auf den Klargesang von Caro Tanghe
(Oathbreaker), bevor sich die Musik in manischen Wiederholungen festläuft,
ohne aber zu erstarren. Den etwas mulmige sound, der bei der Doorn in
der 1. Fassung bemängelt wurde, kann ich so nicht feststellen,
vielleicht liegt das am Mix von Seth Manchester (der auch bei LINGUA
IGNOTA beteiligt war.) Auch sehr atmosphärische, offenbar ziellos
irrlichternde Momente finden sich auf Amenras De Doorn. Nun, so ist ja
auch das Leben, das eben nicht nur aus bewegenden und berührenden
Momenten besteht. Es ist eine Zwischenzeit, die hier mehrfach ihren
Platz findet, bevor die Musik zu gewohnter Brachialität, aber auch zu
betonter Zähigkeit zurückfindet. Amenra erschaffen alles in allem
erneut ein atemberaubendes Erlebnis, in das HörerIn am Besten mit
Haut und Haar eintaucht und das so niemanden unberührt zurücklässt.
„Was im Feuer verloren geht, findet sich in der Asche wieder.“ Anspieltipps:
Ogentroost, De Evenmens, Het Gloren Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 7.6.2022 |