Zores: Musik abseits aller Hörgewohnheiten   

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Macie Stewart, When the Distance is Blue    

International Anthem, 2025 - 8 tracks, 38 Min.

Erin MacKenzie Stewart ist eine ziemlich multiple Musikerin. Klänge für Performances, Soundinstallation oder Orchester - geht alles. Improvisation, Jazziges, Artrock auch - fragen sie bei Macie Stewart, ihrem Künstlerinnennamen . Und unter diesem Namen hat sie jetzt bei International Anthem ihr zweites Soloalbum vorgelegt, bei dem sie sich auf ihr ursprüngliches Instrument zurückbesinnt: Das Klavier. Sie verbindet seine präparierten Klänge mit denen von Streichinstrumenten und Feldaufnahmen und nimmt uns auf eine Reise mit - ins Offene, sacht blau getönt.

Eine diffuse Sehnsucht durchzieht Macie Stewarts Musik auf When the Distance is Blue. An nichts lässt sich festhalten in diesem Zwischenreich, ausser an einem Verlangen, das  von sich selber aber auch nichts so genau weiss. Ausser das es auf seiner nicht so zielstrebigen Suche nach einem Ziel zu äusserst apartem Klang findet, weich, reich und vollklingend. Interpunktiert von Feldaufnahmen belebter Orte, an denen sich Stimmen und Geräusche in merkwürdige Musik verwandeln können. Macie Stewart kann auch musikalisch zupacken, aber hier ist das nicht ihr Ding.

Und doch ist es nicht so, dass es diesem Kammer-Ambient an Spannung fehlt. Sie verbirgt sich nur, scheu und schüchtern. Aber sie treibt dieses Verlangen, dass sich in diesen recht harmonischen Tönen zeigt, sie erzeugt den Drang, Schwingungen in der Zeit zu entfalten - gemeinhin als Musik bezeichnet, sie steuert den Horizont an, auf unsystematischen Wegen, aber doch ins verheissungsvolle, wenn auch unbestimmte Blau. Wo Land und Luft verschmelzen. Macie Stewart zeigt uns mit ihrer Musik, wie das Dazwischen klingen kann, denn um irgendwo anzukommen geht es auch nicht. Oder: Wo immer eine Person sich aufhält - es gibt einen anderen Ort, wo sie sein könnte. Diese etwas wunde Stelle, die eine so vielseitige Künstlerin wie Macie Stewart vielleicht noch etwas brennender spürt als etwa ich (dem das freilich auch nicht unbekannt ist) - sie bildet sich in dieser äusserlich so zurückhaltenden, aber in sich sehr lebendigen Musik ab. Macie Stewart vermag auch ganz andere Töne zu produzieren, hier, in diesem zurückgenommen wirkenden Stücken, findet sie ohne Anzukommen, zu sich. Und hört sich dabei wohl selber zu, in einiger Entfernung stehend. Und irgendwie ist das sehr tröstlich.

Anspieltipps: Murmuration-Memorization, pring Becomes You, Spring Becomes New, Stairwell (Before and After)

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 3.6.2025


T. Gowdy, Trill Scan

Constellation, 2025 - 11 Songs, 43 Min.

Timothy Gowdy ist ein kanadischer Komponist, Musiker und Produzent. In seiner Jugend sang er in einem professionellen Knabenchor, bevor er Gitarre und Aufnahmetechnik studierte. Längere Zeit wirkte er als freier Produzent und Sound engineer bei mehr als 70 Alben. 2018 begann er eigene Musik zu veröffentlichen und im audiovisuellen Bereich zu arbeiten, was zu Teilnahmen an einschlägigen Festivals führte und zu Auftritten in Galerien. Dabei interessieren ihn besonders klangliche Wechselwirkungen in unterschiedlichen urbanen Umgebungen, verbunden mit deren Dekonstruktion und Neuformierung. Das klingt jetzt alles nach gehobenem Feuilletonsprech und hat sicher seine Berechtigung, was aber sein aktuelles, drittes Album bei Constellation namens Trill Scan angeht, so wirkt das viel unmittelbarer, ohne Theorieüberbau, nur in seiner immer wieder beinah tanzbaren Klang-Alchemie. Und das letztere ist mehr als ein Stichwort.

T. Gowdy geht auf diesem Album namens Trill Scan musikalisch-gedanklich weit zurück. Mindestens zu gewissen Spielarten barocker Musik, speziell aber zur modalen Komposition der Schule von Nôtre Dame aus dem 12. Jahrhundert. Hier war die Klanglichkeit der europäischen Musik noch nah an den Ursprüngen der Musik, wie sie in grossen Teilen der Welt gebräuchlich war. Sie war also im Bereich der Tonorganisation noch nicht dominant-kolonialistisch, wie es der Künstler empfindet. Aber muss eins das wissen, um diese irisierend rhythmischen Klänge schätzen zu können?

T. Gowdy erweitert sein musikalisches Spektrum auf diesem Album um Einiges. Er spielt Laute, auch Gesang hat einen bedeutenderen Part als zuvor. Und seine Kenntnisse von Chormusik und mittelalterlichen Klängen bereiten ein weites Fundament. Mit alten Elektronica verschmilzt er das quasi alchemistisch zu betörenden, sich sachte entfaltenden tönenden Trouvaillen - Kostbarkeiten, so schön und bizarr wie manche mittelalterliche Buchmalerei.

Trill Scan ist also ein Konzeptalbum. Eine Art klingender Entkolonialisierung der westlich-weissen Musikdominanz mittels feinstofflicher Destillation, Calcination und Sublimation, die aber gar nicht besonders abwegig wirkt. Das alles verschmilzt mit zeitgemässen Prozeduren zu einem in tausend Tönen schimmernden Klangkosmos. Manche nennen Gowdys Musik Zeitlupen-Techno mit Ausstrahlung und haben damit nicht unrecht.

Anspieltipps: Richmond Rd, Courante, Anonymous V, Novus lumen, Pentaarc    

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 3.6.2025


Drank, Breath in Definition

Trost Rec., 2025 - 4 tracks, 45 Min.

Alex Kranabetter ist Trompeter und im Jazz genau so zuhaus wie bei Die Ansa Panier, Voodoo Jürgens´Hausband. Ingrid Schmoliner singt und spielt Klavier und ist im Impro wie im Experiment beheimatet. Aber was heisst das schon. Ihr beider Duo Drank hat jetzt mit Breath in Definition ein schönes Debut vorgelegt, das bei Trost ein angemessenes Zuhause gefunden hat. Und nein, es ist keine Jazzplatte geworden, kein wildes Experiment, schliesslich geht es ums Atmen. Und Atmen ist Leben. Naja, Leben wiederum kann verwickelt sein. Deshalb halten Schmoliner und Kranabitter auch allerlei Kniffe bereit.

Als „stellares Debut“ bezeichnet das Label die Premiere von Drank, diesem Duo aus bewährten Säulen österreichischer Klangkunst und hat damit nicht unrecht. Weite Räume werden hier von Trompete und präpariertem Klavier geöffnet, unterstützt von allerlei Schall und Hall. Trotzdem muss niemand hier verloren gehen. Das grosse, pulsierende Drönen bietet allerlei Halt und beinah Geborgenheit und niemand muss sich am etwas zerfaserten Poem von Ingrid Schmoliner stören, umso mehr, als es von Soap & Skin vorgetragen wird. Pracht also und betörende Schönheit evoziert die Musik von Drank und ab und zu etwas Apokalypse, denn das Leben besteht aus Werden und Vergehen. Das ist Physik und ihrer Anwendung verdanken sich auch die Klänge von Breath in Definition  im Kleineren wie im Grossen der Kosmos. Niemand muss hier alles verstehen, aber eine Richtung gibt es schon. In den Echokammern dieses Mikroversums begegnen sich fliessende Melodien und repetitive Strukturen zu einem schwerelosen Tanz mit einer Schrittfolge, die nicht unbedingt vorhersehbar ist. Und das ist doch ein Attribut von Schönheit.

Anspieltipps: Min, Breath in Definition        

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 3.6.2025


Phall Fatale, Moonlit Bang Bang

Slowfoot Records und Quilin Records, 2015, 12 Songs, 45 Min.

Zehnjähriges, meine Lieben! Zehn Jahre ist es her, dass ich dieses erstaunliche Album übersehen habe (und ich weiss grad nicht, wieso ich es jetzt in die Finger bekommen habe) - aber hier ist es: das sensationelle, flamboyante, bezaubernde Moonlit Bang Bang von Phall Fatale!!

Bang Bang triffts schon mal. Dafür hat der schwyzer drummer Fredy Studer schon gesorgt. Ziel des nicht mehr ganz jugendlichen Musikers war es, Song und Improvisation zu verbinden. Bei einem Festival traf er auf die Sängerinnen Joy Frempong und Joana Aderi, die auch mit Elektronik einen kreativen Umgang pflegen. Das war sozusagen die Initialzündung für das Projekt. Dann kam ein Luxusproblem dazu: Studer konnte sich nicht zwischen den exzellenten und doch so unterschiedlichen Bassisten John Edwards und Daniel Sailer entscheiden. Nun, er nahm beide und stellte dafür die Suche nach einem Gitarristen ein. So entstand ein ungewöhnliches, mit 1000 Wassern gewaschenes Projekt, das natürlich Spuren von Jazz enthält, aber zugleich fähig ist, alle Arten von Songwriting zu adoptieren. Und das mit hohem Spielwitz, voller Energie und nicht ohne eine alles sachte durchziehende Melancholie.

Einflüsse und Vergleiche lassen sich leicht finden, soweit sie sich nicht aufdrängen - ich will an dieser Stelle nur Neneh Cherry erwähnen. Und trotzdem führt das in die Irre. Phall fatale sind nochmal anders. Eigentlich kann das gar nicht funktionieren: Eine ziemlich disparat aufgestellte Band, der Versuch unterschiedlichste Charaktere unter einen Hut zu kriegen, Songs zu performen und dabei, daneben, darüber zu improvisieren, das Ganze noch elektronisch aufzurüsten: Fredy Studers fulminantes Projekt Phall Fatale, zu seinem 60. Geburtstag ins Leben gerufen, beweist funkensprühend, träumerisch dunkelsamtig, schwindelfrei und umarmend mit jedem Ton das Gegenteil. Moonlit Bang Bang, das ich mit gehöriger Verspätung zur Kenntnis genommen habe, wirkt erfahrungssatt und munter überdreht taufrisch.  

Anspieltipps: Sugar Drops, Fish Tank, Crocodile, Sleeping Beauty,Manic Depression, Night

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 3.6.2025 


Alexandra Grimal + Giovanni Di Domenico, Shakkei

Relative Pitch, 2025 - 5 tracks, 43´

Manchmal liegt der Horizont näher, als wir glauben. In der japanischen Gartentradition findet sich die Kunst, eine abschliessende Hintergrundlandschaft in die Gesamtgestaltung des Gartens einzubeziehen. Die nennt sich Shakkei. Alexandra Grimal + Giovanni Di Domenico haben diesen Begriff als Titel für ihr 4. gemeinsames Album gewählt.  Das Spiel von Vorder- und Hintergrund ist vielleicht das Thema, das die Stücke aus diesem detailreichen Album verbindet. Und die Liebe zu japanischer Kultur.

Jazz in einem kleinen Rahmen: Auf Shakkei treffen die Saxophonistin Alexandra Grimal und der Pianist Giovanni Di Domenico zum wiederholten mal aufeinander und entfalten ihre Künste des Dialogisierens. Der Duktus ist unaufgeregt, aber nicht ohne Intensität. Es bleiben Raum, Luft zum Atmen, Zeit, sich dem Detail zu widmen - auch hier lässt sich eine Verbindung zur Kultur Japans feststellen. Und dann vergrössern sich die Dimensionen, aber nicht im Gegeneinander. Es ist bei allen klanglichen Unterschieden der Instrumente, Di Domenico spielt auch mal Celesta und Orgel, ein Wille spürbar,  gemeinsam zu agieren, auch in Momenten des Unerwarteten. Die finden sich dann auch, gut platziert, in diesem so geordnet erscheinenden musikalischen Garten. Wo alles seinen Sinn gefunden hat, mit sorgsamer Hand sortiert. Das hat einen eigenen Reiz, Ton für Ton. Und bei aller Abwesenheit von Unordentlichkeit ist Shakkei sicher keine Meditationsmusik.          

Anspieltipps: Kuden,          Sanmai

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 3.6.2025


Sopa Boba, That Moment

Sub Rosa, 2025 - 7 Rezitationen, 53 Min.

Sucht wer im Netz nach Sopa Boba, so findet er: Suppen. Leckere, aromatische, vegetarische... Suppen. Diese Sopa Boba ist dagegen nicht besonders lecker. Sie ist nicht mal zum Verzehr. Weil: Filme und Serien, die auf wahren Geschichten beruhen, haben ihren Lauf. Das Oratorium That Moment von Pavel Tchikov hat seinen Anfang in einer solchen, festgehalten vom moldawischen Autor Nicoleta Esinencu. Ein Junge klaut Geld aus dem väterlichen Portemonnaie. Und zur Strafe bekommt er mit einer Axt den Finger abgehauen. Ein Kapitalverbrechen verdient eben, unter den Auspizien des real existierenden Kapitalismus, eine kapitale Strafe. (Nun, es gibt Weltgegenden, in denen Dieben die Hand abgehackt wird, aber das gilt gemeinhin als überständig.) Nun also: Der Junge, das Geld, die Axt. Und das Ensemble Sopa Boba, niederländisch-belgischen Ursprungs, entwickelt daraus eine grimmige Moritat voller Weiterungen und konsequenten Fortsetzungen. Nichts für Feingeister, dafür sorgt schon die nachdrückliche Stimme von  G.W. Sok, seinerzeit Frontmann von The Ex. Getragen von Pavel Tchikov : modular synths
Maritsa Ney : violin, Roxane Leuridan : violin, Nathalie Angélique : viola, Eugénie Defraigne : cello, Stéphane Diskus : modular synths (on 1 & 5), Timba Harris : viola solo (on 4)

That Moment ist ein musikalisches Werk, das oratorienhafte Züge tragen soll. Eine Geschichte entfaltet sich vor uns, in einem kapitalistischen Setting, das alle Lebenszusammenhänge durchzieht und verbiegt. Doch das wird als selbstverständlich hingenommen, da ein Leben ausserhalb dieses Settings hierzulande nicht recht vorstellbar ist. Damit geht die von einem Erzähler (G.W. Sok) vorgetragenen Handlung in eine Abfolge von Moritaten über, denn die sich fortspinnende Handlung zeigt zunehmend groteske und absurde Züge, die allenfalls von der jüngsten Gegenwart noch übertroffen wird. Das konnte bei der Produktion in ganzer Fülle ja auch nicht vorausgesehen werden. Das ganze rabiate Ambiente, das That Moment entfaltet, getragen von Streicherklängen und Synthie-Attacken vermag da allenfalls einen solide schwankenden, jederzeit zum Absturz einladenden Boden unter den Füssen zu simulieren. Und auch G.W. Soks Darstellung der zunehmend irrwitzigeren Geschehnisse kann kaum mehr mit den nüchtern vorgetragenen Sätzen eines Nachrichtensprechers mithalten. Wenn Du dein letztes Hemd verkauft hat, kanst Du immer noch deine Haut zu Markte tragen.

Im Land der Narren heisst es dann krex-pex-fex. Und das ist genug. Wenn Du das Sagen hast.

Anspieltipps: That... Moment!

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 3.6.2025