Zores: Musik abseits aller Hörgewohnheiten   

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Lucrecia Dalt, a danger to ourselves

rvng intl, 2025 - 13 tracks, 44 Min.

Sie zeigt uns Zähne, kraftvolle Zähne. Wucherndes schwarzes Haar verdeckt ihre Augen, fällt bis übers Kinn. Wir dürfen uns beim schwarzweissen cover ein wenig an einen japanischen Horrorfilm erinnert fühlen oder an sein US-amerikanisches Remake. Passenderweise hat Lucrecia Dalt auch schon Musik fürs Horrorgenre komponiert. Aber darum geht es in ihrem neuen Album gar nicht. Auch wenn der Titel darauf hinzudeuten scheint: A Danger To Ourselves. Eine Gefahr für uns selbst. Aber dann geht es doch vor allem um Beziehungen und Gefühle, verpackt in leicht sperrige Popsongs und eher diskret hypnotisch vorgetragen von der kolumbianischen Sängerin und Klangingenieurin. Also doch ein bisschen Schrecken? Es bleibt in der Schwebe. Und das gilt es auszuhalten. Was bei dieser Musik dann so schwer nicht fällt.

A Danger To Ourselves heisst das aktuelle Album der vielseitigen Lucrecia Dalt. Beteiligt an ihm waren ua David  Sylvian, die Synthpop-Legende (Japan) als Sänger, Musiker und Produzent. Aus einem Song mit seiner Beteiligung stammt denn auch der Albumtitel, der aber gar nicht mal so viel über die Songs verrät, die Lucrecia Dalt zu Alex Lázaros Räume eröffnendem Schlagzeug zelebriert. Menschliche Gefühle, menschliche Beziehungen, ihre Möglichkeiten und ihre Abgründe liefern den Stoff, aus dem Dalt ihre Lieder schöpft. Bei aller innewohnenden Dramatik bleiben sie aber wie hinter einem Schleier. Und behalten damit den Rest ihrer Geheimnisse. Denn völlig entzifferbar ist selten, was uns umtreibt. 

Lucrecia Dalts A Danger To Ourselves ist ein Songalbum, aber kein geradliniges. Rhythmen purzeln immer wieder durcheinander. Zu verwirrend der Widerstreit der Gefühle, die Qualität der Emotionen. Die Gefahr liegt in uns selber, das ist schon klar. Es ist nicht gut, den Endorphinen freien Lauf zu lassen, das verrät die Musik mit geschmeidiger, trügerischer, Eleganz. Und zugleich wird all das aufgefangen von einer träumerischen, verhangenen Atmosphäre und diesen verschleppten Rhythmen. Dies ist ein Traum, aber er kratzt schon sehr an der Oberfläche des Wachzustands. Was ist denn schon hinter dem Glas? Ein Spiegel? Oder ein Fenster? 

Anspieltipps: cosa rara, caes, hasta el final, the common reader, covenstead blues 

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 2.12.2025 


Sudan Archives, The BPM

Stones Throw Rec, 2025 - 15 Songs, 52 Min.

Superheldinnen sind rar. Schon gar die ohne übernatürliche Kräfte, solche, die auf überlegene technische Ausrüstung für ihre Tätigkeit angewiesen sind. Brittney Denise Parks ist im Bereich der Musik eine davon. Denn sie hat ihre Geige. Und ein grosses Bewustsein für Musikgeschichte. Die bei ihr nicht irgendwie bleiern theoretisch einherkommt, sondern extrem tanzbar. Und zum Mitsummen, mindestens. The BPM heisst denn auch das aktuelle, dritte Album von Sudan Archives. Und von ihrer Stimme wäre ohnehin noch zu sprechen, die kraftvollen Soulgesang und Rap nebst manch anderen Stimmlagen vereint. 

The BPM heisst das neue Album von Sudan Archives. Und es reisst Horizonte auf. Es wippt mit einem Fuss in der Vergangenheit schwarzer Dance Music und hat doch die Ohren auf die Zukunft gerichtet, auf einen futuristischen melting pot aus Soulgesang, Rap und Klängen jenseits der Gegenwart. Die Künstlerin erfindet sich da folgerichtig neu als gadget girl, in dem Technoides und pulsierend Menschliches zu einer musikalischen Superkraft verschmelzen. Die das Album zum Leuchten bringt.

Sudan Archives Musik auf The BPM ist Beides: Eine Verbeugung vor der Vergangenheit, verkörpert in der Geschichte ihrer Eltern, der Schwarzen Musik aus Detroit und Chicago, die der Dance Music Form und Gestalt gegeben hat. Und zugleich eine Reise in eine schon auch hyperkomplexe Zukunft, in ein mash up von Schwarzen Styles und Genres, die die Bezeichnung Post-R´n´B nahelegt. Den roten oder eher Schwarzen Faden zieht das sehr spezielle Instrument der Musikerin, die Geige, deren Spiel sich Brittney Denise Parks schon früh beigebracht hat. Und damit blitzen unversehens Folk-feelings im perlenden musikalischen Sud auf, während das ebenfalls mitwirkende Schwarze Kammermusik-Ensemble D-Composed für eher filigrane Klänge sorgt.

The BPM zeigt Sudan Archives als musikalische Superheldin, als mit technischen Mitteln der Zeit souverän agierendes gadget girl, das sich freilich, wie in manchen comics auch, familiärem Beistand versichert. Von dieser Art Homebase aus startet Sudan Archives dann in ihre grandiosen musikalischen Abenteuer, ohne sich gross um Begrenzungen zu scheren. Der Vergleich mit Janelle Monáe ist kaum zu hoch gegriffen. Waren schon die beiden ersten Alben von Sudan Archives beglückend, so klingt The BPM leichtfüssig wie die grosszügige Einlösung eines wohlüberlegten Versprechens. 

Anspieltipps: Yea Yea Yea, She´ s Got Pain, David & Goliath, A Computer Love, Ms. Pac Man, Noire

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 2.12.2025


Rare Spam, Double Pleasure

Mangel, 2025, 12 Songs, 35 Min.

Der Co-Pilot weiss Bescheid. Rare Spam sind eine Art Punk Band aus Montreal, die Postpunk und experimentellen Pop aufs ohrenfreundlichste verschmilzt. Somit ein doppeltes Vergnügen, was den Titel des beim Berliner Label Mangel herausgekommenen Albums aufs Trefflichste erklärt: Double Pleasure nämlich.

Viel mehr ist über die Band Rare Spam auch dem Internet nicht zu entlocken. Seis drum, es zählt die Kunst, nicht der oder die Künstler*in. Und in der Tat, das perlt schön in die Gehörgänge. Ein Händchen für wunderleicht windschiefe Melodien ist Rare Spam nicht abzusprechen und damit stehen sie schon mal in der besten Tradition von für mich nicht totzukriegendem Postpunk. Ohne Schnörkel, sparsam instrumentiert, aufs Wesentliche reduziert hören wir auf Double Pleasure beinah eingängige Songs, denen der gewisse Hauch von Pop-Appeal prima steht. Dazu drängelt der nimmermüde Bass.

Anstrengungslos, schlaksig und ungezwungen cool klingen die beiläufig vorgetragenen Songs. Auch hier: Verzicht auf dicke Hose, hohles Pathos und in Kajal ertränkte Melancholie. Ja, wo stünden wir ohne unsere Lethargie. Womöglich auch nicht höher auf der Karriereleiter, aber mit definitiv weniger Coolness.

Spam hat inzwischen einen schlechten Ruf. Er breitet sich ja auch ungeniert aus, quillt durch jede Ritze, drängelt in jedes Postfach. Verstopft als Weihnachtslied getarnt die Ohren.  Dabei war er früher vor allem pikant und schmackhaft. Es ist schon eine Herausforderung, sich dem zu stellen. Feiner Spam ist selten. Aber es gibt sie noch, die guten Dinge. Rare Spam beweisen das, lecker und eingängig (auf die schöne schräge Tour).

Anspieltipps: At War With I, O Where Would I Be Without Lethargy?, Signature´s Wack. Thirst For Light, Freight Train Dance                                                                                                                           

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 2.12.2025


NYOS, Growl                                                  

Pelagic Rec., 2025 - 9 tracks, 47 Min.

NYOS sind ja seit einiger Weile gern gesehene Gäste in Nürnberg und da konnte ich mich schon von den eminenten live-Qualitäten des britisch-finnischen Duos überzeugen. Die spannende Frage lautet dann oft: Bringts das auch auf Platte (resp. CD)? Die Antwort lautet durchaus JA und zeigt sich in bestechender Form auch auf dem aktuellen Album namens Growl. Das die Musiker durchaus als Schritt nach vorn gewichtet sehen wollen.

NYOS sind der Gitarrist Tom Brooke und Schlagzeuger Tuomas Kainulainen. Beides extrem gewitzte Musiker und das ist bei dem Sound, den NYOS produzieren, definitiv von Vorteil. Auf der Basis von Loops wird stets höchst überraschende musikalische Recherchearbeit betrieben. Was sich jetzt sehr technisch und gar Math-Rock-imprägniert anhört, erstreckt sich aber mit spielerischer Intensität und Leidenschaft über den gesamten Bereich rockigen Gelärms. Zwischen Prog und Postrock, drönendem Doom, minimalistischen Ruhezonen und irrem Gefrickel wird sich alles einverleibt, was nicht rechtzeitig in Deckung gegangen ist. Das Cover mit dem Bild aus der namibischen Wüste verrät aber, das hier nicht viel Deckung bleibt. NYOS´ Growl ist allerdings vieles, nur kaum Desertrock. Auch wenn manchmal die Klänge flirren wie vor Hitze. Und einge Songtitel Lokalkolorit andeuten. 

Seit ungefähr 10 Jahren sind NYOS jetzt unterwegs. Growl ist ein Album geworden, auf dem sie souverän, aber nie routiniert mit den Mitteln hantieren, die ihre trotz aller Wendungen sonderbar unmittelbare Musik ausmacht. Es ist ein grosses Hörvergnügen, in dieses wirbelnde Klangbad einzutauchen und etwas von der rastlosen Energie mitzunehmen, die dieses fabulöse Duo scheinbar ohne grosse Anstrengung freisetzt.    Manchmal scheint das rasend überdrehte Klangaggregat den Beiden sogar um die Ohren zu fliegen, aber keine Sorge: Das ist alles nur gespielt.

Anspieltipps: Superstar, Lézard Rouge, Pepe-Pepe, L04              

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 2.12.2025


Krautfuzz Live at The Church

Fünfte Veröffentlichung des Schmelztigels der gegenwärtigen und etablierten Psychedelic-Kraut-Noise Szene Deutschlands! Krautfuzz liefert ein intensives Psychedelic Noise Fest mit Gitarrenlegende J Mascis von Dinosaur Jr. als Gast!

Was mit gelegentlichen Studiosessions Ende 2022 begann, hat bisher zu 5 regulären krautfuzz-Veröffentlichungen und einigen Live-Shows geführt, die ein begeistertes Publikum zurückließen. Die Impro-Band krautfuzz mit Imari Kokubo am Schlagzeug, Dirk Dresselhaus an der Gitarre und gelegentlichem Gesang und Derek Shirley am Bass ist geprägt von einer kantig-futuristischen Spannung, die von fuzzigem Neo-Psych-Rock, abstraktem, stark bearbeitetem Minimalismus bis hin zu reinem Noise reicht. Für ihre Live-Shows lädt die Band in der Regel Überraschungsgäste mit unterschiedlichem musikalischem Hintergrund ein, um energiegeladene, dynamische und zeitüberschreitende Musik zu spielen.

Gegründet Ende 2022, ist KRAUTFUZZ ein kreatives Projekt von drei Musikern, die wissen, wie man Klänge erschaffen kann. Schlagzeugerin Imari Kokubo ist das Herz der Band. Manchmal zurückhaltend, manchmal explosiv, aber immer da, um die Energie zu halten. Sie bringt eine meditative Schwere ins Spiel. Gitarrist und Teilzeitsänger Dirk Dresselhaus, einer von Schneider TM, faust oder Angel, mischt dazu kosmischen Jazz, Rock und avantgardistische Klänge. Seine Gitarrensounds bauen sich wie Mauern auf, unterbrochen von verzerrtem Feedback. Seine Stimme ist dagegen eher ein Ruf aus einer fernen Welt. Und Bassist Derek Shirley ist der tiefdröhnende Grundton der Band, sein Bass ist kraftvoll und manchmal kaum hörbar. Er ist ein Meister des tiefen Spektrums, zwischen Jazz-Gefühl und schwerer Musik.


Frederikke Hoffmeier (Puce Mary), The Girl

OONA Rec., 2025 - 13 tracks, 37 Min.

Frederikke Hoffmeier hat sich als Puce Mary einen Ruf in der Szene rabiater Elektronik erarbeitet. Hier gilt es, sie als Filmkomponistin zu würdigen. Nun, Magnus von Horns The Girl with the Needle ist schon einmal alles andere als ein Wohlfühlfilm. Die Nadel dient als Instrument zur Abtreibung nach einer ungewollten Schwangerschaft, aber auch die eröffnete Alternative zeigt Bedenklichkeiten. Das Ganze in Schwarzweiss angelehnt an eine wahren Begebenheit in Dänemark nach dem 1. Weltkrieg liefert die Vorlage zu Hoffmeiers unseren Gefühlen unangenehm auf die Haut rückende Musik. Die deshalb auch schon Preise erhielt. Die Frage ist nun: Geht es auch ohne den Film?

Manchmal wird ein Album ja als Film bezeichnet, hier hat Frederikke Hoffmeier wiederum eine Filmmusik vorgelegt, die ein unangenehmes Geschehen in Töne setzt. Dazu braucht es nicht unbedingt Brachialität, sondern mehr so ein unangenehmes Kribbeln, eingebettet in trügerische Harmonien. So etwa vollzieht sich hier der Einstieg, der allerlei Erwartungen offen lässt. Und doch schon ein wenig frösteln lässt.

Hoffmeisters Musik zu The Girl hat etwas von einem Kammerspiel. Es wird viel angedeutet, was dann eine Wendung nimmt. Es muss ja nicht gleich etwas sehr Schlimmes sein, nur eine Andeutung, ein Verdacht. Wir ahnen, was wir doch so gar nicht zu hören kriegen. Darin liegt schon mal Hoffmeiers Kunst, Spannung aufzubauen. Und uns darin, heimtückisch heiter, gefangen zu halten. Bis die Blase platzt.

Mit dieser Filmmusik zeigt Frederikke Hoffmeier, wie adäquat sie auch mit organischen Klängen umgehen kann. Eine einschüchternde Atmosphäre lässt sich auch mit subtilen Mitteln erzeugen, der Horror kriecht dann eben schleichend in den Kopf. Und dann wird die Schraube doch ein wenig direkter angesetzt, die Klänge driften ins Geräuschhafte. Aber nur ein bisschen. Denn hierliegt die Kunst nicht in der Übertreibung. Sondern indem das Level des Schreckens langsam hochgefahren wird. Und am Ende ists zu spät, um noch rauszukommen.

Anspieltipps: Ganz oder gar nicht...

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 2.12.2025


Kerala Dust, An Echo of Love - Play It Again Sam, 2025

Begonnen hatte alles als ziemlich elektronisches Projekt um Sänger Edmund Kenny und Gitarrist Lawrence Howarth.. Bei Album Nr. 3 ist daraus eine lakonische Band mit Tim Gardner (kb) und Pascal Karrier (dr) geworden. Sie spielen sehr schöne, angenehm ins Ohr gehende Songs über Wandel und Veränderung. Beats und Loops treffen dabei auf organische Americana Sounds und haben dabei Leonard Cohens „How The Light Gets In“ im Sinn.


Q Lazzarus, Goodbye Horses - Sacred Bones Rec., 2025


Den Lebensweg von Q Lazzarus hätte sich niemand ausdenken dürfen. Zu unwahrscheinlich, hätte es geheissen. Dabei stimmt es, dass sie als Taxifahrerin Jonathan Demme begegnet, der verschiedene Songs von ihr in seinen Filmen verwendete. Zwischen New Wave und Rock´n´Roll mäandert die Musik dieser charismatischen Sängerin, der doch nie ein Durchbruch vergönnt war. Noch einmal gabs durch eine Taxifahrt die Möglichkeit eines come backs, aber da starb sie unzeitig an einer Infektion. Ein stringentes Gesamtwerk konnte sie nicht vorlegen, aber alle ihre Musik wird von ihrer ausdrucksstarken Stimme getragen.