Zores: Musik abseits aller Hörgewohnheiten Jeden 1. Dienstag im Monat 21 - 24 Uhr bei Radio Z 95,8 MHz |
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Macie
Stewart,
When the Distance is Blue
International
Anthem, 2025 - 8 tracks, 38 Min. Erin
MacKenzie Stewart ist eine ziemlich multiple Musikerin. Klänge für
Performances, Soundinstallation oder Orchester - geht alles.
Improvisation, Jazziges, Artrock auch - fragen sie bei Macie Stewart,
ihrem Künstlerinnennamen . Und unter diesem Namen hat sie jetzt bei
International Anthem ihr zweites Soloalbum vorgelegt, bei dem sie sich
auf ihr ursprüngliches Instrument zurückbesinnt: Das Klavier. Sie
verbindet seine präparierten Klänge mit denen von
Streichinstrumenten und Feldaufnahmen und nimmt uns auf eine Reise mit
- ins Offene, sacht blau getönt. Eine
diffuse Sehnsucht durchzieht Macie Stewarts Musik auf When the
Distance is Blue. An nichts lässt sich festhalten in diesem
Zwischenreich, ausser an einem Verlangen, das
von sich selber aber auch nichts so genau weiss. Ausser das es
auf seiner nicht so zielstrebigen Suche nach einem Ziel zu äusserst
apartem Klang findet, weich, reich und vollklingend. Interpunktiert
von Feldaufnahmen belebter Orte, an denen sich Stimmen und Geräusche
in merkwürdige Musik verwandeln können. Macie Stewart kann auch
musikalisch zupacken, aber hier ist das nicht ihr Ding. Und
doch ist es nicht so, dass es diesem Kammer-Ambient an Spannung fehlt.
Sie verbirgt sich nur, scheu und schüchtern. Aber sie treibt dieses
Verlangen, dass sich in diesen recht harmonischen Tönen zeigt, sie
erzeugt den Drang, Schwingungen in der Zeit zu entfalten - gemeinhin
als Musik bezeichnet, sie steuert den Horizont an, auf
unsystematischen Wegen, aber doch ins verheissungsvolle, wenn auch
unbestimmte Blau. Wo Land und Luft verschmelzen. Macie Stewart zeigt
uns mit ihrer Musik, wie das Dazwischen klingen kann, denn um irgendwo
anzukommen geht es auch nicht. Oder: Wo immer eine Person sich aufhält
- es gibt einen anderen Ort, wo sie sein könnte. Diese etwas wunde
Stelle, die eine so vielseitige Künstlerin wie Macie Stewart
vielleicht noch etwas brennender spürt als etwa ich (dem das freilich
auch nicht unbekannt ist) - sie bildet sich in dieser äusserlich so
zurückhaltenden, aber in sich sehr lebendigen Musik ab. Macie Stewart
vermag auch ganz andere Töne zu produzieren, hier, in diesem zurückgenommen
wirkenden Stücken, findet sie ohne Anzukommen, zu sich. Und hört
sich dabei wohl selber zu, in einiger Entfernung stehend. Und
irgendwie ist das sehr tröstlich. Anspieltipps:
Murmuration-Memorization,
pring Becomes You, Spring Becomes New, Stairwell (Before and After) Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 3.6.2025 T.
Gowdy,
Trill Scan Constellation,
2025 - 11 Songs, 43 Min. Timothy
Gowdy ist ein kanadischer Komponist, Musiker und Produzent. In seiner
Jugend sang er in einem professionellen Knabenchor, bevor er Gitarre
und Aufnahmetechnik studierte. Längere Zeit wirkte er als freier
Produzent und Sound engineer bei mehr als 70 Alben. 2018 begann er
eigene Musik zu veröffentlichen und im audiovisuellen Bereich zu
arbeiten, was zu Teilnahmen an einschlägigen Festivals führte und zu
Auftritten in Galerien. Dabei interessieren ihn besonders klangliche
Wechselwirkungen in unterschiedlichen urbanen Umgebungen, verbunden
mit deren Dekonstruktion und Neuformierung. Das klingt jetzt alles
nach gehobenem Feuilletonsprech und hat sicher seine Berechtigung, was
aber sein aktuelles, drittes Album bei Constellation namens Trill Scan
angeht, so wirkt das viel unmittelbarer, ohne Theorieüberbau, nur in
seiner immer wieder beinah tanzbaren Klang-Alchemie. Und das letztere
ist mehr als ein Stichwort. T.
Gowdy geht auf diesem Album namens Trill Scan musikalisch-gedanklich
weit zurück. Mindestens zu gewissen Spielarten barocker Musik,
speziell aber zur modalen Komposition der Schule von Nôtre Dame aus
dem 12. Jahrhundert. Hier war die Klanglichkeit der europäischen
Musik noch nah an den Ursprüngen der Musik, wie sie in grossen Teilen
der Welt gebräuchlich war. Sie war also im Bereich der
Tonorganisation noch nicht dominant-kolonialistisch, wie es der Künstler
empfindet. Aber muss eins das wissen, um diese irisierend rhythmischen
Klänge schätzen zu können? T.
Gowdy erweitert sein musikalisches Spektrum auf diesem Album um
Einiges. Er spielt Laute, auch Gesang hat einen bedeutenderen Part als
zuvor. Und seine Kenntnisse von Chormusik und mittelalterlichen Klängen
bereiten ein weites Fundament. Mit alten Elektronica verschmilzt er
das quasi alchemistisch zu betörenden, sich sachte entfaltenden tönenden
Trouvaillen - Kostbarkeiten, so schön und bizarr wie manche
mittelalterliche Buchmalerei. Trill
Scan ist also ein Konzeptalbum. Eine Art klingender
Entkolonialisierung der westlich-weissen Musikdominanz mittels
feinstofflicher Destillation, Calcination und Sublimation, die aber
gar nicht besonders abwegig wirkt. Das alles verschmilzt mit zeitgemässen
Prozeduren zu einem in tausend Tönen schimmernden Klangkosmos. Manche
nennen Gowdys Musik Zeitlupen-Techno mit Ausstrahlung und haben damit
nicht unrecht. Anspieltipps:
Richmond Rd, Courante, Anonymous V, Novus lumen, Pentaarc
Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 3.6.2025 Drank,
Breath in Definition Trost
Rec., 2025 - 4 tracks, 45 Min. Alex
Kranabetter ist Trompeter und im Jazz genau so zuhaus wie bei Die Ansa
Panier, Voodoo Jürgens´Hausband. Ingrid Schmoliner singt und spielt
Klavier und ist im Impro wie im Experiment beheimatet. Aber was heisst
das schon. Ihr beider Duo Drank hat jetzt mit Breath in Definition ein
schönes Debut vorgelegt, das bei Trost ein angemessenes Zuhause
gefunden hat. Und nein, es ist keine Jazzplatte geworden, kein wildes
Experiment, schliesslich geht es ums Atmen. Und Atmen ist Leben. Naja,
Leben wiederum kann verwickelt sein. Deshalb halten Schmoliner und
Kranabitter auch allerlei Kniffe bereit. Als
„stellares Debut“ bezeichnet das Label die Premiere von Drank,
diesem Duo aus bewährten Säulen österreichischer Klangkunst und hat
damit nicht unrecht. Weite Räume werden hier von Trompete und präpariertem
Klavier geöffnet, unterstützt von allerlei Schall und Hall. Trotzdem
muss niemand hier verloren gehen. Das grosse, pulsierende Drönen
bietet allerlei Halt und beinah Geborgenheit und niemand muss sich am
etwas zerfaserten Poem von Ingrid Schmoliner stören, umso mehr, als
es von Soap & Skin vorgetragen wird. Pracht also und betörende
Schönheit evoziert die Musik von Drank und ab und zu etwas
Apokalypse, denn das Leben besteht aus Werden und Vergehen. Das ist
Physik und ihrer Anwendung verdanken sich auch die Klänge von Breath
in Definition im Kleineren
wie im Grossen der Kosmos. Niemand muss hier alles verstehen, aber
eine Richtung gibt es schon. In den Echokammern dieses Mikroversums
begegnen sich fliessende Melodien und repetitive Strukturen zu einem
schwerelosen Tanz mit einer Schrittfolge, die nicht unbedingt
vorhersehbar ist. Und das ist doch ein Attribut von Schönheit. Anspieltipps:
Min, Breath in Definition Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 3.6.2025 Phall
Fatale,
Moonlit Bang Bang Slowfoot
Records und Quilin Records, 2015,
12
Songs, 45 Min. Zehnjähriges,
meine Lieben! Zehn Jahre ist es her, dass ich dieses erstaunliche
Album übersehen habe (und ich weiss grad nicht, wieso ich es jetzt in
die Finger bekommen habe) - aber hier ist es: das sensationelle,
flamboyante, bezaubernde Moonlit
Bang Bang von Phall Fatale!! Bang
Bang triffts schon mal. Dafür hat der schwyzer drummer Fredy Studer
schon gesorgt. Ziel des nicht mehr ganz jugendlichen Musikers war es,
Song und Improvisation zu verbinden. Bei einem Festival traf er auf
die Sängerinnen Joy Frempong und Joana Aderi, die auch mit Elektronik
einen kreativen Umgang pflegen. Das war sozusagen die Initialzündung
für das Projekt. Dann kam ein Luxusproblem dazu: Studer konnte sich
nicht zwischen den exzellenten und doch so unterschiedlichen Bassisten
John Edwards und Daniel Sailer entscheiden. Nun, er nahm beide und
stellte dafür die Suche nach einem Gitarristen ein. So entstand ein
ungewöhnliches, mit 1000 Wassern gewaschenes Projekt, das natürlich
Spuren von Jazz enthält, aber zugleich fähig ist, alle Arten von
Songwriting zu adoptieren. Und das mit hohem Spielwitz, voller Energie
und nicht ohne eine alles sachte durchziehende Melancholie. Einflüsse
und Vergleiche lassen sich leicht finden, soweit sie sich nicht aufdrängen
- ich will an dieser Stelle nur Neneh Cherry erwähnen. Und trotzdem führt
das in die Irre. Phall fatale sind nochmal anders. Eigentlich kann das
gar nicht funktionieren: Eine ziemlich disparat aufgestellte Band, der
Versuch unterschiedlichste Charaktere unter einen Hut zu kriegen,
Songs zu performen und dabei, daneben, darüber zu improvisieren, das
Ganze noch elektronisch aufzurüsten: Fredy Studers fulminantes
Projekt Phall Fatale, zu seinem 60. Geburtstag ins Leben gerufen,
beweist funkensprühend, träumerisch dunkelsamtig, schwindelfrei und
umarmend mit jedem Ton das Gegenteil. Moonlit Bang Bang, das ich mit
gehöriger Verspätung zur Kenntnis genommen habe, wirkt
erfahrungssatt und munter überdreht taufrisch. Anspieltipps:
Sugar
Drops, Fish Tank, Crocodile, Sleeping Beauty,Manic
Depression, Night
Hans
Plesch für ZORES auf Radio Z, 3.6.2025
Alexandra
Grimal + Giovanni Di Domenico,
Shakkei Relative
Pitch, 2025 - 5 tracks, 43´ Manchmal
liegt der Horizont näher,
als wir glauben. In der japanischen Gartentradition findet sich die
Kunst, eine abschliessende Hintergrundlandschaft in die
Gesamtgestaltung des Gartens einzubeziehen. Die nennt sich Shakkei. Alexandra
Grimal + Giovanni Di Domenico haben diesen Begriff als Titel für ihr
4. gemeinsames Album gewählt. Das
Spiel von Vorder- und Hintergrund ist vielleicht das Thema, das die Stücke
aus diesem detailreichen Album verbindet. Und die Liebe zu japanischer
Kultur. Jazz
in einem kleinen Rahmen: Auf Shakkei treffen die Saxophonistin
Alexandra Grimal und der Pianist Giovanni Di Domenico zum wiederholten
mal aufeinander und entfalten ihre Künste des Dialogisierens. Der
Duktus ist unaufgeregt, aber nicht ohne Intensität. Es bleiben Raum,
Luft zum Atmen, Zeit, sich dem Detail zu widmen - auch hier lässt
sich eine Verbindung zur Kultur Japans feststellen. Und dann vergrössern
sich die Dimensionen, aber nicht im Gegeneinander. Es ist bei allen
klanglichen Unterschieden der Instrumente, Di Domenico spielt auch mal
Celesta und Orgel, ein Wille spürbar,
gemeinsam zu agieren, auch in Momenten des Unerwarteten. Die
finden sich dann auch, gut platziert, in diesem so geordnet
erscheinenden musikalischen Garten. Wo alles seinen Sinn gefunden hat,
mit sorgsamer Hand sortiert. Das hat einen eigenen Reiz, Ton für Ton.
Und bei aller Abwesenheit von Unordentlichkeit ist Shakkei sicher
keine Meditationsmusik. Anspieltipps:
Kuden,
Sanmai Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 3.6.2025 Sopa
Boba,
That Moment Sub
Rosa, 2025 - 7 Rezitationen, 53 Min. Sucht
wer im Netz nach Sopa Boba, so findet er: Suppen. Leckere,
aromatische, vegetarische... Suppen. Diese Sopa Boba ist dagegen nicht
besonders lecker. Sie ist nicht mal zum Verzehr. Weil: Filme und
Serien, die auf wahren Geschichten beruhen, haben ihren Lauf. Das
Oratorium That Moment von Pavel Tchikov hat seinen Anfang in einer
solchen, festgehalten vom moldawischen Autor Nicoleta
Esinencu. Ein Junge klaut Geld aus dem väterlichen Portemonnaie. Und
zur Strafe bekommt er mit einer Axt den Finger abgehauen. Ein
Kapitalverbrechen verdient eben, unter den Auspizien des real
existierenden Kapitalismus, eine kapitale Strafe. (Nun, es gibt
Weltgegenden, in denen Dieben die Hand abgehackt wird, aber das gilt
gemeinhin als überständig.) Nun also: Der Junge, das Geld, die Axt.
Und das Ensemble Sopa Boba, niederländisch-belgischen Ursprungs,
entwickelt daraus eine grimmige Moritat voller Weiterungen und
konsequenten Fortsetzungen. Nichts für Feingeister, dafür sorgt
schon die nachdrückliche Stimme von
G.W. Sok, seinerzeit Frontmann von The Ex. Getragen von Pavel
Tchikov : modular synths That
Moment ist ein musikalisches Werk, das oratorienhafte Züge tragen
soll. Eine Geschichte entfaltet sich vor uns, in einem
kapitalistischen Setting, das alle Lebenszusammenhänge durchzieht und
verbiegt. Doch das wird als selbstverständlich hingenommen, da ein
Leben ausserhalb dieses Settings hierzulande nicht recht vorstellbar
ist. Damit geht die von einem Erzähler (G.W. Sok) vorgetragenen
Handlung in eine Abfolge von Moritaten über, denn die sich
fortspinnende Handlung zeigt zunehmend groteske und absurde Züge, die
allenfalls von der jüngsten Gegenwart noch übertroffen wird. Das
konnte bei der Produktion in ganzer Fülle ja auch nicht vorausgesehen
werden. Das ganze rabiate Ambiente, das That Moment entfaltet,
getragen von Streicherklängen und Synthie-Attacken vermag da
allenfalls einen solide schwankenden, jederzeit zum Absturz
einladenden Boden unter den Füssen zu simulieren. Und auch G.W. Soks
Darstellung der zunehmend irrwitzigeren Geschehnisse kann kaum mehr
mit den nüchtern vorgetragenen Sätzen eines Nachrichtensprechers
mithalten. Wenn Du dein letztes Hemd verkauft hat, kanst Du immer noch
deine Haut zu Markte tragen. Im
Land der Narren heisst es dann krex-pex-fex. Und das ist genug. Wenn
Du das Sagen hast. Anspieltipps:
That... Moment! Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 3.6.2025 |