Zores: Musik abseits aller Hörgewohnheiten Jeden 1. Dienstag im Monat 21 - 24 Uhr bei Radio Z 95,8 MHz |
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Chikiss,
Between
Time and Laziness
bureau
B, 2024 - 10 Songs, 50 Min. Seit
ungefähr 2007 ist Galina Ozeran aus Belarus als Musikerin aktiv. St.
Petersburg war lange so etwas wie eine Heimat für sie. Aus Gründen
ist das nicht mehr so. Jetzt hat sie ihre erste Veröffentlichung auf
dem feinen bureau b-Label vorgelegt. Between Time & Laziness
heisst es und nein, uns allen wohlbekannt, dies Leben ist kein langer,
ruhiger Fluss. Viel eher ein film noir. Und damit ist die Atmosphäre
doch ganz gut beschrieben. „In
den letzten zwei Jahrzehnten ist Galina Ozeran, alias Chikiss, ihrer
eigenen Sehnsuchtslinie durch Post-Punk, Minimal Wave, experimenteller
Electronica und Live-Improvisation gefolgt und hat einen
beeindruckenden Katalog gefühlvoller
und innovativer Musik geschaffen. Mit ihrer intuitiven
Herangehensweise an ihr Handwerk fungiert Galina als Sprachrohr für
ihre eigenen Erfahrungen und die Turbulenzen der Welt um sie herum.
Nach dem gemeinsamen Schmerz der Pandemie, der brutalen Unterdrückung
der Proteste in ihrer Heimat Belarus und dem Ausbruch des Krieges in
der Ukraine musste sie sich abkapseln und ihre Solo-Aktivitäten
unterbrechen, um als Produzentin für
andere zu arbeiten und Unterstützung
für
die Menschen in ihrer Umgebung zu geben. »Between
Time and Laziness«
stellt so gesehen eine Wiedergeburt dar.“ Natürlich
ist Chikiss Musik auf Between Time and Laziness auch eine Rundreise zu
den diversen Gestaltungen elektronischer Musik der letzten 50 Jahre,
einschliesslich sowjetischer Filmmusiken. Freilich klingt all das
allenfalls als Echo nach, gefiltert und raffiniert im zumeist
schwerelosen und traumverlorenen Songwriting. Nach den eigenen Worten
der Künstlerin, und da pflichte ich gerne bei: Ich glaube, es ist ein
schönes Album, erfüllt von beschwörenden Melodien und Abenteuer,
Geheimnis und einem Hauch von Traurigkeit. Anspieltipps:
Evil Sky, Nevesta, 4:45,
Between Time and Laziness, Into the Void
Malia,
One
Grass Skirt To London MPS
Rec., 2025 - 14 Songs, 62 Min. 8200
Kilometer trennen Malawi von London (Grossbritannien) und das ist die
Strecke, die Malia einst zurückgelegt hat. Sie ist dann eine
grossartige und bekannte Sängerin geworden. Unterschiedliche
Erinnerungen an die Stationen ihres Lebens hat Malia nun zusammengefügt,
die zugleich eine Hommage an das Kino ist, einem Ort, an dem sich die
Musikerin oft genug zuhause gefühlt hat. Manchmal musste dazu auch
der heimische Fernseher herhalten. Nichtsdestotrotz entstand so aus
allerlei mehr oder weniger bekannten Coverversionen ein sehr persönliches
Selbstportrait. „Fast
alle Cover-Versionen stammen aus Filmsoundtracks, von »Everybody's
Talkin'«
aus Midnight Cowboy bis »Take
My Breath Away«
aus Top Gun, von »Pure
Imagination«
aus Charlie und die Schokoladenfabrik bis »Here
on My Own«
aus Fame. Jeder dieser Songs hat die einzigartige Fähigkeit,
durch die Musik und die von ihm hervorgerufenen Bilder, eine Emotion
wiederherzustellen, die Malias eigene Identität
geprägt
hat. Dies half ihr Herausforderungen im Leben zu bestehen und sich als
Künstlerin
weiterzuentwickeln. Es ist also nicht verwunderlich, dass man in
Malias Stimme, manchmal sogar in ein und demselben Lied, das kleine Mädchen,
die Jugendliche, die Frau, aber auch, wie durch eine faszinierende
Wirkung der vokalen Transmigration, die Seele derjenigen hört,
die nicht mehr da sind... Wie gewohnt, griff sie bei ihrer Band auf
ein Trio, bestehend aus dem Pianisten Alexandre Saada, dem Bassisten
Jean-Daniel Botta und dem Schlagzeuger Laurent Sériès
zurück,
mit dem Malia seit »Black
Orchid«
zusammenarbeitet. Mit ihnen schafft sie es, dieses Album zu einem der
persönlichsten
ihrer Diskographie zu machen.“
(Francis Dordor) Malias
grossartige und intensive Stimme muss ich vielleicht gar nicht extra
erwähnen. Damit verwandelt sie jedenfalls die Songs, die oft aus
Filmen stammen, zu ihren ganz eigenen. Natürlich hat das mit der
Bedeutung zutun, die sie für die Sängerin haben. Und da lässt sie
sich von Genregrenzen nicht beirren. So unterschiedlich der Soundtrack
für ihr Leben hier auch ausfallen mag, Malia prägt jeden einzelnen
Lied den Stempel ihres Künstlerinnentums auf. Das Ganze in einer
hervorragenden, äusserst klaren, aber nie zu künstlich klingenden
Aufnahme. Alle Feinheiten treten hervor, ohne dabei aufdringlich zu
sein. Malia und ihr Trio sind eben auch ein bestens eingespieltes
Team. Und ein bisschen sophisticated dazu...was Spititualität nicht
ausschliesst. Anspieltipps:
I Follow Rivers, Love Me Tender, Eyes Without Face, When I'm
Cleaning Windows, Wand'rin' Star, Dambala Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 5.8.2025 Safi,
Groteske Rookie
Rec., 2024 - 12 Songs, 46 Min. 2015
schrieb ich, anlässlich des vorletzen Safi-Albums: Noch kein letztes
Wort, will ich hoffen. Ja, und Ende letzten Jahres erschien Groteske.
Album Nr. 3. Endlich. Aber das Warten hat sich gelohnt. Los
gings für mich 2009: Kalt. Kalt ist das schon gar nicht. Eher
arienhafter Querdenkerpunk, also ein hörnerstarrendes Unding (mit
Betroffenheit auf die eingeschlagene Stirn geklebt). Safi hat sicher
Nina Hagen gehört. Dazu haut Frank Semmer direkt HörerIn aufs
Trommelfell, kurzschlüssig ins Hörzentrum wie die tanzenden und
kreuzundquerschlagenden Textkaskaden. Märchen
und Abzählreime explodieren, es rotiert, was im Kopf umgeht und
allemal besser und konkreter als auf der Couch assoziiert sichs wohl
in Übungsraum und auf der Bühne. Botschaften wie dunkle Bilder vor
hellem, straff musikalisierten Horizont. Vielleicht steckt in dieser
Botschaft etwas von deiner eigenen Wut, deiner Ratlosigkeit, deinem
Unwillen. Aber niemals Besserwisserei. ´s
ist halt nicht einfach. Es treibt, sprintet, springt und kann ganz schön
anstrengend sein. Das ist schon lange kein Punk mehr, Musik mit
erhobenem Zeigefinger schon gar nicht, keine Wiederaufbereitungsanlage
für immergleiche Parolen. Punk allerdings ist das
Kopf-durch-die-Wand-hafte, das über weite Strecken Safis Lieder
vorantreibt. Dazwischen gibt es Partien beinah träumerischen
Dahintreibens, Worte finden sich da und sie finden Geschwister und
Widerworte, aus denen sich beiläufig Sätze von finsterer Wucht
bilden: Lieder aus Grübeln und Staunen, mit einem Blick von weit ganz
nah auf die Welt. Safi,
das sind ausser der namengebenden Sängerin und Gitarristin Sandra
Fink (immer noch) Matthias Becker an Gitarre und Bass sowie Frank
Semmer, Schlagzeug. Safi haben eine längere Vorgeschichte und sich in
Leipzig zusammengefunden. Safis Musik drückt sich, nicht zuletzt
durch die intensive und ungemein direkte Produktion von Moses
Schneider, von den Ohren direkt in den Solarplexus. Und auf Groteske
findet sich eine illustre Gästeschar, darunter Rummelsnuff. Safis
Musik ist überwiegend erfüllt von Ungestüm und Sturheit. Das ist
eine prima Basis für das, was die Sängerin Safi Theater in der
Stimme nennt. Eine Stimme, die eineN verfolgt wie ein cruise missile:
direkt gezielt aufs Hirn und sich danach in die Eingeweide grabend,
eine Spur von Verwunderung hinterlassend: Geht das denn? Hoch droben
die koloraturartigen Arabesken, darunter lapidar schnoddrig
Festgestelltes, kehlig-rauchige Chansonstimmung, dazwischen atemlos
Kinderverse krakeelend und alles immer wieder ineinander und ganz
andere Gesangscharaktere kippend, bis ins sehnsuchtsvolle
Balladenhafte. Nein,
wir sind hier nicht im falschen Film. Es sind bloss viele zugleich,
wie die Realitäten, die uns Tag für Tag umhüllen, wie Träume,
Missempfindungen, Verwunderungen. Safis Musik lodert und brennt, kalt
lassen wird sie kaum jemanden. 2009 habe ich das notiert. Und gilt und
fasziniert mich auch auf dem neuen Album Groteske. Und nochmal: Noch
kein letztes Wort, will ich hoffen. Anspieltipps:
Ewig diese Welt, Das Gesicht, Fieber, Der Golem, Groteske, Adrenalin Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 5.8.2025 Pharmakon,
Maggot
Mass Sacred
Bones Rec., 2024 - 5 tracks, 31 Min. Zwei
Planeten plaudern an der Bar. Etwas verschämt flüstert einer nach
dem fünften Drink: Du, ich habe Menschen... Tröstend erwidert der
andere: Oh shit! Aber geht vorüber... Willkommen
bei Margaret Chardiets neuestem, leider ziemlich kurzen Album Maggot
Mass. Aus Sicht der Biodiversität etwa ist der Mensch zweifellos zum
Schädling geworden. Er hat sich ausgebreitet wie eine Plage und seine
eigene, gern von Natur befreite Umwelt geschaffen, aus Glas und Stahl,
Abgasen und Plastik sowie Elektronik, die allerdings zuvor unter
Kosten der Erde entrissen wurden. Ungefähr hier setzt die rabiate
Musik von Maggot Mass an. Sie singt von Entfremdung, Gewalt und
Einsamkeit. Der
Mensch als Krone der Schöpfung? Ein fataler Irrtum, der von der Natur
mit ihren, von uns initiierten Mitteln korrigiert werden wird. Diese
spezifische Auflagerung auf dem alten, recht bewährten Hirn? Da hat
die Evolution womöglich einen Fehler durchgehen lassen (den die
Menschheit jetzt mit KI zu wiederholen gewillt ist). Ausbeutung macht
einsam. Geld ist vielleicht doch nicht das Mass aller Dinge. Hinter
unserem Komfort steckt Leid. Es wird ja nicht nur kreatürliches Leben
vernutzt, auch der Boden wird überstrapaziert. Grundwasser schwindet.
Der Wurm im Erdreich leidet, aber er tut seine Pflicht. Vielleicht
sollten wir uns den Wurm zum Vorbild nehmen, zumindest sollten wir ihn
feiern. Und besingen. Maggot Mass heisst das aktuelle Album von Pharmakon. Es setzt sich mit der Entfremdung vom Menschen (jedenfalls grundsätzlich) und seiner Umwelt ausseinander. Damit haben sich Schwerpunkt und auch die nach wie vor brachialen Mittel verändert, die die Musikerin zur Anwendung bringt. Verzerrter, heilloser Gesang ist jetzt in das Geräusch-szenario eingebettet. Der Anteil an Power Electronics ist geringer geworden, dafür sind Bezüge zu Industrial und Punk unüberhörbar. Ausdruck von Schmerz in einer heillosen Welt, die anscheinend entschlossener den je ihre Verankerung in der Natur (auch ohne alle Gaia-Verklärung) kappen will. Anspieltipps:
Wither
And Warp, Buyer's Remorse,
Splendid Isolation
Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 5.8.2025 Diana
Rogerson, Blue
Bottle In A Jam Jar Nihilist,
2023 - 8 tracks, 54 Min. Eine
Suche nach Diana Rogerson führt zurück in die späten 1970er Jahre,
zu altem Industrial und Kunstaktionen, zu einer BDSM-orientierten Band
wie Fistfuck. Sodann zu Nurse with wound (inclusive Heirat mit Steven
Stapleton) und Current 93 und zu raren Soloveröffentlichungen als
Chrystal Belle Scrodd und unter ihrem eigenen Namen. Also tendenziell
schräger, kultverdächtiger Britenkram und dem wird sie auch mit
ihrer neuesten Veröffentlichung gerecht, die auch schon einige Zeit
zurückliegt. Aber solche Musik altert ja gar nicht, sie ist in ihrer
Art zeitlos. Und jeder Aktualitätsgefahr unverdächtig. Das
Universum von Blue Bottle In A Jam Jar ist klein. Ein Marmeladenglas,
ein Honigtopf, der auch uns einfängt und einschliesst. Der
zauberhafte Matt Waldron ist als Mitbeteiligter genannt, ein
vornamenloser Zimmerman ist auch für allerlei Geräusch und Klang
zuständig, Diana Rogerson führt aber beinah beiläufig alle Register
Ihrer Stimme vor und zeigt ab und zu auch mal das Besteck in einer oft
irritierenden, aber nicht unbedingt verstörenden Geräuschlandschaft
vor. Ein
hinreissender, nirgendwo recht einzuordnender musikalischer
Schabernack: Diana Rogersons recht unverhofft in die Welt gesetztes
neues Album ist bedrängend und idyllisch. Und relativ gitarrenlastig.
FreundInnen von Nurse with wound werden sich bestimmt wohlfühlen, für
alle anderen ist es aber sicher auch keine Schocktherapie. Bloss auf
irgendeinen Nenner wird kaum zu bringen sein,
was da zwischen kleiner und grösserer Welt verhandelt wird.
Und gestehen wir es uns ein: Die Unterschiede in der Erwartung an das
Leben von Mensch und Insekt sind vielleicht gar nicht so gross. Wobei
Menschen vielleicht mehr an Musik liegt als an Honig. Doch wer weiss
das schon? Anspieltipps:
Falling Apart, The Moth, Lip Service,
Not What I Wanted Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 5.8.2025 u
n d Manchmal
sind schwierige Lebensphasen ausser schwierig doch ein Nährboden der
Kreativität. Und wenn Auftritte mit Laptop als „Karaoke“
kritisiert wird, stellt frau eben eine Band zusammen, mit der sie ein
sehr persönliches, all das reflektierendes Album eispielte. Die
Kirmes des Lebens ist ramponiert, aber sie dreht sich noch. Auch das
metallene Pferd. |