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Schröders Roadshow

 

Wie klingt die Neue Mitte?

Langsam wird es langweilig. Immer wieder, wenn Rammstein eine neue Platte veröffentlichen und immer wieder, wenn die Böhsen Onkelz auf Platz 1 der deutschen LP-Charts klettern, hagelt es im Feuilleton Debatten um den Rechtsruck der Gesellschaft im Allgemeinen und um den von Jugend und Pop im Speziellen.

Man muss ja nicht gleich wie Heinz Rudolf "Deutsche Quote" Kunze in der Frankfurter Rundschau behaupten, dass sämtliche Nazi-Ästhetik bei Rammstein nur ein Problem "von nachdenklichen Journalisten" darstellt, während "Künstler nicht für ihre Kinder, also für ihre Stücke" haften - das nämlich tun sie sehr wohl. Anderserseits: Was sollen denn Rammstein auch anderes machen als ödipale Marschmusik aufzuspielen? Wer verlangt von den Böhsen Onkelz ernsthaft etwas anderes als Durchhalteparolen für geschlagene Heimkinder? Wer dem Problem ernsthaft nachgehen will, warum Rockmusik so indiskutabel geworden ist, ideologisch wie ästhetisch verbraucht, macht sich eher lächerlich, die Defizite bei Cartoon-Phänomenen wie Rammstein zu suchen. Dort ist die Provokation längst zum Spektakel geronnen wie einst bei Alice Cooper, zum Adoleszenz-Ritual bei Cola-Bier im Publikum und Ketchup auf der Bühne. Das wahre Horrorszenario zeichnet sich dagegen in der Mitte ab, dort, wo Rock im Sinne der 'ehrlichen' und also guten Gesinnung seine ganze Ohnmacht in Sachen Kritikfähigkeit längst nach außen gekehrt hat.

Das Unheil begann, als Gerhard Schröder zusammen mit den Scorpions "Wind of Change" anstimmte, nahm seinen Lauf, als sich kurz darauf Wolfgang Niedecken für die Nato-Bombardierungen in Jugoslawien aussprach und fand seinen vorläufigen Höhepunkt darin, dass "Ich bin froh, dass ich kein Dicker bin"-Westernhagen das Bundesverdienstkreuz für besondere Verdienste in Sachen "Toleranz und Integration" verliehen wurde.

Die SPD- und Grünen-Kultur ist eine Bap- und Tote Hosen-Kultur, eine Grönemeyer- und Klaus Lage-Kultur und ist dies immer schon gewesen. Es ist eine Rock-Kultur fern von jeglichem musikalischen Einfühlungsvermögen, eine plumpe Gleichsetzung von Musik mit Gesinnung. Die Frage nach einer musikalischen Opposition zum gesellschaftlichen Mainstream ist also keine Frage zwischen Rammstein oder Campino, zwischen Onkelz oder Kyuss, sondern eine Entscheidung zwischen Rock und Pop.Ü
ber Jahrzehnte galt Rock als einzig legitime Form, gegen bestehende Verhältnisse zu opponieren, reproduzierte sich ständig als dionysischer Akt männlicher Selbstbefreiung, der zugleich zwei musikalische Formen kategorisch ausgeschlossen hatte: Jegliche avantgardistische, modernistische, atonale und spielerisch experimentelle Musik einerseits (denn die galt/gilt als intellektuell, verkopft und damit als unsexy spießig - obgleich zugleich all jene Zeitgenossen, die ohne schlechtes Gewissen als Spießer bezeichnet werden können, die Eigenheim-Autowasch-Familienoberhäupter sehr wohl auf den Rock von Motörhead und Metallica können, nicht aber auf Arnold Schönberg und Albert Ayler), andererseits jeglicher Pop im Sinne von angepasster, lebensfroher, "weibischer" Kommerz-Musik, zu der sich mitsingen läßt, während frau die Wäsche bügelt. Sowohl das Atonale im Sinne einer musikalischen Gebrochenheit wie auch der umarmende Pop im Sinne eines als „weibisch“ tabuisierten Harmonieversprechens sind einer Rock-Haltung zuwider, die weder Zweifel noch Versöhnung sucht, sondern stets nur männliche Stereotypen des Rebellen hervorbringt.

Es verwundert daher nicht, dass Pop sich gegenüber der herrschenden Rock-Ideologie innerhalb der letzten Jahre immer mehr verfeinert hat und zugleich auch immer stärker die Verbindung mit den verschiedenen Traditionen experimenteller Musik suchte. Mit einer Mischung aus neuer Weichheit ("Quiet Is The New Loud" lautete programmatisch das Album der Kings Of Convenience) und Hang zum Fließenden, Improvisierten entstanden in den letzten beiden Jahren zahlreiche Formen eines neuen Wimp-Pop, einer musikalisch offen zur Schau getragenen Verletzlichkeit. Galt noch in den Achtzigern Rock als Stimme des Non-Establishments mit all seinen Ausprägungen von SST bis Fugazi/Emo und Grindcore, ist nun Pop an die Peripherie getreten. Dass das Gegenteil einer auf Härte getrimmten neoliberalen Rock-Mitte nicht automatisch weich im Sinne lebensbejahender "Let's dance"-Attitude sein muss, aber zum Glück auch nicht notwendig melancholisch todestrunken und morbide wie der "weiche" Faschismus von Bands wie Death In June, zeigt jene Entwicklung, die sich momentan aus einer Vielzahl von härte-, rock-, gesinnungs- und bekenntnisfreien, kurz außerparlamentarischen Musiktraditionen neu zusammensetzt: Wimp-Pop, Glam, Soul, Countryfolk, Click + Cuts-Elektronik, Artrock (im Sinne einer neuen, durchaus reflektierten decadence) und sämtliche Restformen von Improvisation und Neuer Musik rücken als plötzlich eigenartig verbundene, erstmals dermaßen übergreifend liierte Familie zusammen, monatlich nachzuhören auf den Alben von Sigur Rós, Labradford, Clouddead, Lambchop, Godspeed You Black Emperor und Savoy Grand.

Das erfolgreichste Beispiel hatten diesbezüglich Radiohead mit "Kid A" geliefert: Eine Platte, die sich aus Drum'n'Bass, Ambient-Soundscapes, Sun Ra-Abfahrten, Talk Talk-Androgynitäts-Pop, Prefab Sprout-Dandytum, Folk-Melancholie und versponnener Früh-Psychedelic zusammensetzte. Und die damit ein ganzes Bündel von Traditionen zusammenführte, die alle auf ihre Weise alles, was mit Rock im eigentlichen Sinne zu tun hat, immer schon zu vermeiden wussten. Als habe es gegolten, mit einem solchen Mix manifesthaft die Grenze zu markieren: cocks - stay out of here.

Die politische Dimension manifestiert sich im musikalischen Material. Rock-Konditionierung auf Härte hat im Laufe der Jahrzehnte immer offener gezeigt, dass das Image des Rebellen mit dem Wunsch nach Teilhabe an Macht zusammenfällt. Bands wie die Böhsen Onkelz sind dabei lediglich die Vereindeutigung einer Haltung, die Selbstmitleid mit Selbstzweifel und Hass mit Kritik verwechselt. Ein im letzten Jahr entstandenes Bild des Düsseldorfer Fotografen Andreas Gursky zeigt Fans bei einem Konzert der Toten Hosen. Tausende sind dort mit gestrecktem rechten Arm zu sehen, festgehalten im scheinbar unpolitischen Moment triumphierender Gemeinsamkeit. Man sollte nur noch Musik trauen, die zu solchen Gesten erst gar keinen Anlass gibt.

Martin Büsser

Martin Büsser, Musikjournalist und (Mit)herausgeber von „Testcard Beiträge zur Popgeschichte“, las am 13.6. in der Desi zum Thema „Rechte Tendenzen in der Popmusik.“ Sein Buch „Wie klingt die neue Mitte?“ wird im Herbst beim Ventil Verlag erscheinen. Erstabdruck des obigen Textes in der Kölner Stadtrevue.

Stop, Look and Listen!

Zwei der meiner Meinung nach (!selbstredend!) schönsten Platten dieses Frühjahrs kommen aus Grossbritannien und eröffnen neben der Musik auch andere, nicht völlig uninteressante Parallelwelten.
Ladytron assoziieren einen Hauch von Raumschiff Orion und etwas Kraftwerk, coole Kunst also, aber auch Pop aus jener Phase vor vielen Jahren, als die Beteiligten glaubten, das System (der Kapitalismus, der Kommerz, das Patriarchat) seien durch Popmusik/Popkultur zu unterwandern.
Life Without Buildings assoziieren spontane Kunstäusserung mit einfachen Mitteln, Improvisation, Durchbrechen der herrschenden Verhältnisse durch blosse, unbändige Lebendigkeit.

Personifizieren beide Bands nicht auch eine alte Konstellation: Roxy Music (Ladytron ist der Name eines Roxy Music Songs) versus Velvet Underground oder Human League versus The Raincoats oder The Slits?
Deprimierter, lakonisch schöner, verspielter, synthigenerierter Pop in gleichberechtigter Geschlechterkonstellation (bis hin zu Licht und Technik) dargeboten, alle in das gleiche Schwarz gekleidet, mit Jacken, auf deren Ärmen „Atari“ steht, androgyn oder eher noch neutral wirkend Ladytron aus Liverpool.
Aufgeregte, aktionistische, nervös-überschäumende Gitarrenmusik in klassischer Rockkonstellation mit Frontfrau: Life Without Buildings aus Glasgow, die sich nach der B-Seite einer Single von Japan benannt haben.

Bei Ladytron sind die Mädels Helen und Mira Sängerinnen und Keyboarderinnen. Sie sind auch Blickfang, stehen vorn an der Bühne, während alle anderen im Hintergrund werkeln. Ihre Beteiligung an der Entstehung der Songs ist nicht ganz klar in einem Interview sagt Daniel, das meiste Liedmaterial stamme von ihm. Präsentiert wird es allerdings korrekt kollektiv als Gemeinschaftswerk. Die Jungs, Reuben und Daniel, kommen aus der Elektro- und DJ-Ecke, während Mira sich zum Gitarrespiel mit Gesang bekennt.

Life W/out Buildings kommen aus der Art School-Ecke, haben tagsüber auch mit Kunst zu tun und die Nächte gehören der Band. Die wäre ohne Sue Tompkins nur eine halbe Sache denn sie, die Erfahrungen bei der aus Frauen bestehenden Performancegruppe „Elizabeth Go“ gesammelt hat, setzt ihre Stimme als Instrument ein, singt nicht unbedingt nur Lieder, sondern scheint eher Minidramen durchzuspielen: Dialoge, Selbstgespräche, ein Tasten und Austesten, das unmittelbare Freude auslöst. Das sollen die Songs bei aller Hektik auch transportieren. Sagt Ms Tompkins, die live mit allerhand Zetteln auf der Bühne zugange sein soll. Wie das aussieht und vor allem klingt, könnt ihr hoffentlich noch dieses Jahr im K4-Zentralcafé bestaunen.

Tine Plesch

Ladytron, 604, Emperor Norton Rec.
Life Without Buildings, Any Other City, Tugboat Rec.