Zores: Musik abseits aller Hörgewohnheiten Jeden 1. Dienstag im Monat 21 - 24 Uhr bei Radio Z 95,8 MHz |
|||
|
Maple
Glider, I
Get Into Trouble PIAS,
2023 - 10 Songs, 36 Min. Tori
Zietsch wuchs in Australien in einer sehr, sehr christlichen Familie
auf. Wie bei manch anderen Menschen hat das Spuren hinterlassen, die
nicht unbedingt mit einem Übermass an christlicher Nächstenliebe in
Verbindung zu bringen sind. Unter dem Namen Maple Glider veröffentlicht
sie seit einigen Jahren Musik, I Get Into Trouble ist ihr zweites
Album. Träumerisch kommt es einher, mit einer klaren, manchmal
hypnotisierenden Stimme, die über allerlei Untiefen des Lebens
hinwegträgt. Anpassung
und Scham werden in gewissen Familienkonstellationen belohnt, aber sie
machen auch wehrlos, wie Tori Zietsch in ihrer Jugend erleben musste.
In der Musik fand sie einen Ausweg und mit der rückt sie uns ziemlich
nah. Was freilich zu Melancholie und Düsternis hätte gerinnen können
(und das hat auch seine Berechtigung), verwandelt sich hier in ein
luftiges, beinah heiteres Spiel mit Worten und Klängen. Als Maple
Glider entwindet sich die Musikerin ihrer Vergangenheit, lässt sie
hinter sich. Und bestaunt sie womöglich, aber jetzt aus sicherem
Abstand, mit einem gewissen Humor und einigermassen losgelöst. Mit
15 befreite sich Tori Zietsch von ihrer Familie, lernte
Gitarrespielen, hatte dann erste Auftritte, ua in einem Skatepark und
ging zeitweise nach Grossbritannien. 2021 veröffentlichte sie als
Maple Glider ihr erstes Album mit dem schönen hedonistischen Namen To
Enjoy Is The Only Thing, das gleich ziemlich gefeiert wurde. I Get
Into Trouble ist so etwas wie eine Fortsetzung und Erweiterung
geworden, aber auch eher aufbauend als niederdrückend. Selbst in den
nachdenklichen Partien der Songs. In
schwierigen Situationen kann Musik ein Rettungsanker sein, so auch
hier. Die Welt, in der Tori Zietsch aufwuchs, mag konfus und verstörend
gewesen sein, restriktiv und unaufrichtig. Sie hat sich davon
getrennt, und sich als Maple Glider darüber erhoben. Von Folk-Anklängen
getragen, berühren die Songs unmittelbar.
Mit einer intensiven, aber beherrschten Stimme sucht die
Musikerin ihre Vergangenheit ab, ohne sich von ihr beherrschen zu
lassen. Denkbarer Schmerz wird verwandelt, in Einsichten und
Optimismus. Sowas ist nicht allen gegeben. Aber dieses Album hat es in
der Hand und entlässt uns gelöst und sogar milde beschwingt - selbst
der Schrei am Ende ändert nichts daran. Anspieltipps:
Do You, Two Years, Don´t Kiss Me, For You And All The Songs We Loved,
Scream Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 5.3.2024 Renaldo M, They Blessed The
Body Breadcrumbed Klanggalerie,
2023 - 13 Songs, 43 Min. Musikalische
Brotkrumen aus 30 Jahren. So liesse sich überschreiben,
was Renaldo M unter dem kryptischen Titel They Blessed The Body Breadcrumbed bei
der Klanggalerie vorgelegt hat. Dazu die hübsche Geschichte, die diesen Titel angeregt hat und die etwas zusätzlichen Goldstaub auf das Ergebnis
zaubert. In Zeiten, sicher besser als die unsrigen, gab es die Sündenfresser. Unrettbare Arme, die sich
dazu hergaben, in ritueller Mahlzeit mit Brot und Bier fatal
ungebeichtete Sünden von
Bessergestellten zu sich zu nehmen und den teuren Toten somit den Weg
ins Paradies zu erleichtern. Eine vergangene Dienstleistung, in deren
Darstellung für mich grade eben die Aussicht auf
eine neue, ingeniöse &
ultralukrative Plattform aufblitzt, die nur noch programmiert
und platziert werden müsste... Aber einstweilen gehts um Musik. Treffen
sich in den späten 70ern ein Pathologe und ein Architekt...
und machen Musik. Was wie ein Witz beginnt, lässt eine äusserst
schrullige Band namens Renaldo and The Loaf entstehen. Die Residents
entdecken und fördern sie, es entstehen einige Alben, ein einschlägiger
Ruf, dann lange nichts, dann wieder was, und noch ein Live-Album. Und
in den Lücken dazwischen schraubt Renaldo M mit Gästen noch ein paar
extra Songs zusammen, die dem Gesamtwerk wohl kaum nachstehen und HörerInnen
schräger Klänge Vergnügen zu bereiten imstande sind. Wer
diese besondere, britisch grundierte Atmosphäre von Nonsense und
Verspultheit, verschwistert mit ratternden
Rhythmen schätzt, ist bei Renaldo M gut aufgehoben. Verschmitzt
zwinkernde Naivität, Volkskünste, auf links gedreht, sonniger Humor
und eine gewisse Bodenlosigkeit reichen sich hier die Hände. Dies
Brot für uns arme Sünder, es ist kein trocken Brot. Ein Pint dazu
kann nicht schaden. Anspieltipps:
Blessing
Song, When
Mephisto Tangos,
Mina or Maja, Fake Roses,
Surreal Love, They Blessed The Body Breadcrumbed Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 5.3.2024 Adam Angst, Twist
Grand
Hotel Van Cleef, 2023 - 11 Lieder, 36 Min. Ungefähr
zehn Jahre Adam Angst - Zeit für einen Twist. So heisst das aktuelle,
nach 5jähriger Pause herausgekommene Album der vielseitigen
Deutschpunker, die sich nie zu schade für eine nachdenkliche Note
waren. Twist also. Und damit ist nicht der in Vergessenheit geratene
Tanz gemeint, sondern eher die Lust, einen Haken zu schlagen, wo
andere den Geradeauslauf bevorzugen würden. So treffen hier auch mal
entwaffnend schlichte Klavierklänge auf grenzgrauen
Schweinerock. Nacheinander. Aber das ist dann auch die Spitze
der Zumutung. Auch wenns zwischendrin weiterhin flott abgeht. Das
schönste an Adam Angst ist Felix Schönfuss´ schmerzbefreite Stimme.
Das zweitbeste ihr Händchen für eingängige Melodien. Eher erwartbar
ist das Sträusschen Themen, das dieses Album bündelt. Leider. Denn
es ist alles noch aktuell, was uns seit gefühlt dem Einsturz der Türme
bewegt und medial permanent an Intensität gewinnt. Jede Band, die
sich politisch engagiert, kommt da nicht drumrum, auch wenn sie die
Schwerpunkte jeweils etwas anders setzt und private Befindlichkeiten
dazuaddiert. Adam Angsts Twist liefert einen bunten, nicht so sehr in
die Tiefe gehenden Themenmix, grundiert mit einer gewissen
Nachdenklichkeit, aber doch schön auf den Punk(t) gebracht. Tja, so
muss Punk, der nicht ganz aus der Zeit gefallen ist. Was
dieses Album von Adam Angst auszeichnet, ist sein
Abwechslungsreichtum. Was es HörerIn schwer macht, es mal eben so zu
konsumieren, ist... genau. Dem gut geölten Punkschemata ist es
entwachsen, und nicht erst, seitdem Felix Schönfuss zu Coronazeiten
Klaviertutorials genossen hat. So mag Danger Dan den Liedern ab und zu
über die Schulter linsen, aber dann dreht sich das musikalische
Karussel weiter, das Twist an- und umtreibt.
Dann lässt es die Band wieder krachen und Felix Schönfuss´Stimme
beginnt so gewinnend zu keifen wie zu besten Frau Potz-Zeiten. Dass es
dabei nicht bleibt, zeigt tatsächlich so etwas wie einen Reifeprozess
an, der das Album erwachsen aussehen lässt, aber nicht alt. Schönes
Teil. Anspieltipps:
Unter meinem Fenster, Mindset, Angst, Die Lösung für deine Probleme,
Eau de toilette
Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 5.3.2024 Ragana,
Desolation's
Flower Flenser,
2023 - 7 Tracks, 41 Min. Ragana,
das sind die etwas besonderen Hexen im Baltikum, in Litauen etwa. Und
vergesst ein paar Klischees, diese Hexen müssen nicht hässlich sein.
Allerdings ist sie tatsächlich nicht besonders nett zu Menschen, dafür
naturverbunden. Nur dass ihrs wisst. Blumen in der Einöde findet das
amerikanische black/doom metal Duo gleichen Namens und diese stehen
auch für queere und trans-Lebensweisen. Das setzt karge Glanzlichter
in das Dickicht aus Finsternis, das ansonsten beschworen wird. Maria
(Stocke) und Coley (Gilson) fanden über ihre Vorliebe zu Wolves in
the Throne Room zusammen und riefen Ragana 2011 ins Leben. Ein Jahr später
erschien ihr erstes Album. Ragana begreifen sich als sehr politisches
Projekt, queer und antifaschistisch, was sich auch auf ihre
Labelauswahl auswirkt. Desolation's Flower ist ihr fünftes Album und
zeigt sie musikalisch in Höchstform. Viszerale
Musik für herausfordernde Zeiten: Black Metal stellt sich dem auf
unterschiedlichste Weise. Ich will hier gar nicht vom NSBM sprechen,
es gibt auch so manch Unangenehmes in diesem Bereich, was gar nicht
mal der Musik geschuldet sein muss. Aber den Menschen, die sie
spielen. Insofern schliessen Ragana, ähnlich wie vielleicht Divide
And Dissolve eine oft genug als schmerzlich empfundene politische Lücke.
Das macht ihre Musik nicht lieblicher, zumal Textverständlichkeit in
diesem Genre keine hohe Priorität hat. Die Haltung lässt sich nicht
unbedingt an der Musik selbst festmachen, aber an ihren Orten und
ihren Gemeinschaften. Und so findet diese sich an die Eingeweide
krallende Musik Platz da, wo es oft softer und träumerischer zugeht.
Und da hat sie auch ihre Berechtigung. Ein schwarzes Loch an diffusen
Gefühlen von Trauer bis Widerstandskraft. Ein Zerren nach Innen und
zugleich rasender Ausbruch. Maria und Coley begreifen sich beide
zuerst als Drummer, sie reichen sich die Sticks gegenseitig weiter, während
die Gitarre dröhnt und der Gesang Schmerz und Wut beschwört. Und ab
und zu Trübsal. Desolation's
Flower: Ebenso rabiate wie empfindsame Musik für eine Welt, die an
ein Ende gekommen zu scheint. Für Ragana muss eigentlich alles
niedergerissen werden, bevor eine neue, solidarischere Welt erblühen
kann. Bis dahin setzt uns ihre Musik ein Stück weit in Flammen,
beschwört Gespenster, reisst Herzen aus und wiegt uns mitleidsvoll in
vermutlich trügerischer Melancholie. Anspieltipps:
Desolation's Flower, Ruins, DTA
Hans
Plesch für ZORES auf Radio Z,
5.3.2024 Matana
Roberts, Coin
Coin Chapter Five - In The Garden Constellation,
2023 - 16 tracks, 58 Min. Geschichte
vergeht nicht so einfach. Auch wenn sie lange nicht beachtet wurde,
weil sie zu unbedeutend erschien. Jedenfalls für die, die gewöhnlich
die Bücher mit Geschichte füllen. Sie haben kaum Platz für Schwarze
Menschen, für Frauen, für queere Personen. Ein bisschen ändert sich
das gerade und so springe ich quasi auf einen Zug auf, den die
kanadische Musikerin Matana Roberts schon vor Jahren aufs Gleis
gesetzt hat. Coin Coin Chapter Five - In The Garden heisst dieses
Album, 5. Teil eines grossangelegten Projekts, das dem Leben ihrer
Vorfahren nachspürt. Eine Spurensuche, die die unterschiedlichsten
Formen annehmen konnte und kann - hier Matana Roberts Saxophon als
Verkörperlichung von Erfahrungen, begleitet von einem Ensemble in der
Aufbruchstradition des Chicago Jazz, bewegt durch spoken words und
unterfüttert von den aktuellen Änderungen der US-amerikanischen
Abtreibungsrechten, denen ja auch zB Argentiniens libertärer Präsident
nacheifern würde. Die Stimme einer Frau spricht zu uns, einer
Schwarzen Frau aus dem 20. Jahrhundert, die sich in ihrer besonderen
Situation nicht anders zu helfen wusste, als sich von einer hohen
Treppe zu stürzen. Und daran starb. Geisterstimmen.
Coin Coin, das ist ein Spitzname. Name einer Vorfahrin. Der Garten,
ein Panorama, in das Geschichte eingeflochten ist. Hochspezialisiert
dargeboten und dann im Ton von Folk Songs und Spirituals. Das Saxophon
spricht und verblendet Leben und Tod. Die Elektrizität des Lebens,
seine Lebendigkeit, sein Geist - sie zählen auf einmal nichts mehr.
Etwas hat stattgefunden, es hätte nicht sein sollen. Nicht unter
diesen Umständen, nicht zu diesem Zeitpunkt. Und dieser Zeitpunkt,
der ist ja neuerdings wieder: JETZT. Hilfe bekommt, wer es sich
leisten kann, wem kein Missgeschick unterlaufen ist. So rennt das
Leben davon, damals wie heute. Das sind Momente, die nur Frauen so in
ihrer Krassheit, ihre Ausweglosigkeit, aber auch bei anderer
Gelegenheit, in ihrer Freude erleben können. Matana Robert lässt
vielstimmig diese Geschichte passieren, verblendet ohrenöffnende
Avantgarde mit Momenten hoher Intimität und ergreifender
Schlichtheit. Trotz aller
musikalischen Diversität ist Coin Coin Chapter Five - In The Garden
eigentlich keine Zumutung, aber doch eine Herausforderung. Es hat ein
Thema, das nach wie vor viele Menschen nicht unberührt lässt. Das zu
Diskussionen auffordert. Und darin ganz den Geist eines spirituellen
Jazz aufnimmt, der mehr sein kann als pointierte Unterhaltung. Anspieltipps:
Bitte durchhören! Viji,
So
Vanilla Speedy
Wunderground, 2023 - 12 Songs, 40 Min. Vanille
mag ich nicht besonders. Zumal im Übermass. Ein Album, das die
Vanille schon im Titel beschwört, sehe ich skeptisch. Dies vorweg.
Dann kam Viji. Tatsächlich
heisst Viji Vanilla Jenner mit vollem Namen und kam in Wien auf die
Welt. Vermutlich war es nicht nur Corona geschuldet, dass sie Musik
machen wollte. Aber da ging es wohl los. Und offenbar gab es viel
Interesse an den 90er und frühen 2000er Jahren, die da ihren Weg in
diese Songs aus dem notorischen Schlafzimmer gefunden haben. Ergebnis:
So also klingt catchy dreampop up to date, leicht verschlafen, bis die
Gitarre dröhnt. Bestes aus zwei Welten mindestens will Viji auf ihrem
Album vereinen... und liegt dabei gut im Rennen. Lauter
kleine musikalische Perlen, manchmal etwas grummelig. Sie besingen
Alltagsmomente, kuscheln sich auch mal in eine wärmende Decke.
Manchmal rumpelt es etwas, aber Viji bleibt locker und charmant. Mit
leicht kehliger Stimme spürt sie ihren Emotionen nach, aber die
lassen sich in gutgebauten Songs einfangen. Auch wenn deren Kanten
manchmal nicht so glatt geschliffen sind, wie es möglich wäre. Da
bleibt doch eine gewisse Sprödigkeit unter diesen behenden, süssen
Klangen, die diesem Album und der Musikerin dahinter, Viji, gut zu
Gesicht stehen. Anspieltipps:
Down, Sharks, Karaoke, Blanket, Say Hi Hans
Plesch für ZORES auf Radio Z,
5.3.2024 Mike
Ladd - Tom Malmendier - Emilie
Škrijelj,
The Kort´dakian
Crisis eux
sæm,
202? - 1 track, 43 Min. Ein
amerikanischer spoken word Künstler,
eine auch an Plattenspielern aktive Akkordeonistin und ein belgischer
Schlagzeuger treffen sich 2021. Corona liegt kaum zurück,
es ist Zeit für
eine... Krise. Denn Mike Ladd hat einen einschlägigen
Text vorbereitet. Ein Planet wird angegriffen und setzt sich zur Wehr.
Die dystopische Sci Fi Geschichte lässt
sich ebenso symbolisch wie als konkrete Warnung lesen. The
Kort´dakian
Crisis, mit der dieses Sendung ausklingt, erweist sich als
beunruhigende Szenerie aus Hektik und Hysterie, Schlachtengetümmel,
Mut und Opferbereitschaft, kurz alles, was gediegene Fantasy ausmacht.
Aber alles, sagt Mike Ladd, nur ein Wimpernschlag von der Welt
entfernt, in der wir leben. Tom
Malmendier und Emilie
Škrijelj
improvisieren dazu einen bildgewaltigen und erfindungsreichen
Soundtrack, der den Plot in dunkle und ungewisse Regieonen finsterer
Fantasien zerrt und schiebt. Kraftvolles, beunruhigendes Hörkino,
ich habs letztes Jahr beim unlimited erleben dürfen.
Hans
Plesch für ZORES auf Radio Z,
5.3.2024 |