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Bildverbot

Brüste kriegen

 

Bildverbot 

HerausgeberInnenkollektiv k.u.u.g.e.l.

 

Triton Verlag, Wien, 2003, 16 EUR

Videokamera oder Closed Circuit TV  sind alltägliche Begleiter unseres Daseins geworden, sobald wir das Haus verlassen. Sie sind so allgegenwärtig, dass viele von uns sie kaum noch bemerken – „mir ist es egal, ob Sie mich speichern“, hörte ich eine Frau neulich in einer Apotheke sagen und sie meinte damit die Medikamente, die ihr verordnet wurden und die Geldbeträge, die sie zuzahlen musste. Sicher wäre ihr es auch egal gewesen, hätte im Ladenraum eine Videokamera gehangen. Sie hätte nichts zu verbergen, hätte sie gesagt und sich damit neugierigen, kontrollierenden, aus- und verwertenden Blicken preisgegeben, in der Überzeugung, dass das Speichern ihrer Daten keine Nachteile für sie hätte. Der Überwachungsstaat – das sind wir längst auch selber.

Sicherheitsbedürfnis, Täterabschreckung, BürgerInnenschutz als (letzte) staatliche Aufgabe und immer neue technische Möglichkeiten der Kommunikation und Kontrolle mischen sich zu einem höchst zwiespältigen Gebilde: was als Rettung erscheint, ist auch Bedrohung.  „Dabei folgt der Ausbau des Sicherheits- dem Abbau des Wohlfahrtsstaates, der von der Regierung zugunsten marktregulierter Steuerung fortlaufend forciert wird,“ meint Klaus Ronneberger von „Nitribitt – Frankfurter Ökonomien“.

Städte verändern sich genauso wie Gewohnheiten und Körper. Dies alles miteinander zu verbinden ist die Leistung der in „Bildverbot“ zusammengetragenen Texte, während Fotos die Allgegenwart der Kameraüberwachung dokumentieren.

k.u.u.g.e.l. bedeutet „kritische universität und gesellschafts-emanzipatorische lehre“, ist 2001 an der Innsbrucker Universität entstanden und „operiert an der Schnittstelle von Politik, Theorie und Kunst.“  Der Band „Bildverbot“ entstand aus dem Projekt re:control, das als Versuch der Re-Politiserung des sozialen Diskurses auf universitärer, kommunaler und globaler Ebene das „Technoartefakt Überwachungskamera“ herausgriff. „Visionen von der totalen Überwachung des öffentlichen Raumes mit Videokameras, von automatischer Gesichtserkennung und Verknüpfung von ganzen Kamerakaskaden mit den Datenbanken der Polizei lassen ahnen, welche dramatischen Veränderungen auf die BürgerInnen zukommen,“ heisst es im Vorwort. Die InnsbruckerInnen wurden aufgerufen, die Überwachungskameras ihrer Stadt zu fotografieren und verschiedene Veranstaltungen sollten unterschiedliche StadtbewohnerInnen ansprechen. Eine Ebene des Readers sind also die nüchtern fotografierten Kameras - nicht nur aus Innsbruck, sondern auch aus London und Riga, allgegenwärtig und manchmal absurd, die über den Eingängen von Fitnessstudios genauso hängen wie an Polizeigebäuden oder an Fachwerkäusern. .

Die Texte in „Bildverbot“ befaasen sich mit Freiheit und Komtrolle im Internet, mit dem Übergang von der Disziplinar- zu Kontrollgesellschaft, rekurrieren auf Biometrie und das Überwachungssystem Echelon und sparen dabei Themen wie Architektur, Ästhetisierung, Konsum, Körper und Geschlecht nicht aus. Wie Überwachung und die Entstehung des modernen Staates zusammenhängen, steht hier ebenso zu lesen, wie eine kurze Geschichte der Überwachungsmethoden, die uns ins Gedächntis ruft, dass Sicherheit eben immer auch Kontrolle ist – nicht zuletzt auch gerne Kontrolle am Arbeitsplatz. Die bauliche Umgestaltung von Städten wie z.B. das Ersetzen kleiner Gassen durch grosse Boulevards – darauf verweist  Sylvia Riedmann am Beispiel von Paris – diente nicht etwas nur der Verschönerung, sondern schuf Übersichtlichkeit und ermöglichte Polizeikräften „ein schnelles und ungehindertes Vorrücken.“ Klar ist auch, wer die “Unsicherheitsfaktoren“ repräsentiert – nämlich alle, die nicht so recht ins Bild (!) passen: „Die Distinktionslinie verläuft entlang gesellschaftlichen Normen, deren wichtigsten Erkennungsfaktor in der Regel die Kaufkraft bildet.“ Die lesefreudigen BürgerInnen sind längst gewappnet durch Soziologen wir Ulrich Beck, die damit vertraut machen, dass wir in einer „Risikogesellschaft“ leben. Eher unbemerkt verläuft die Verlagerung ausführender Sicherheitskontrollarbeiten hin zu privaten Anbietern. Sicherheit wird zur Ware und zum Euphemismus für unangenehme gesetzliche Neuerungen.

Kornelia Hauser verweist darauf, dass die „Polarisierung der Geschlechter in gesellschaftliche Bereiche...neu strukturiert wird“ und „dass wir es mit einer „Kulturalisierung des Ökonomischen“ zu tun hätten, die wie ein Schmiermittel die zunehmenden Ungerechtigkeiten entnennt.“ Der Feminisierung der Öffentlichkeit durch Beobachtung, durch „Intimisierung von Räumen“ folge in der Politik die Rückgewinnung eines „autoritären Männlichkeitsbildes“ – die Diskussionen zum Irakkrieg haben das ausreichend illustriert. Geschlecht und Raum, Geschlechterkonstruktion und Ökonomie sind das Thema von Marion von Osten und Rachel Mader. Ihre Überlegungen reichen von der Konstruktion der Städte im Bewusstsein der Menschen über Margaret Schütte-Lihotzkys Frankfurter Küche, die die Hausarbeit erleichtern sollte zu Berufsbiographien von Frauen, deren privates oder unterbezahltes Engagement ihnen mehr bedeutet als ihre Erwerbsarbeit. Osten und Mader kommen schließlich bei einer Kartographie der Angst an, die ignoriert, dass Gewalt gegen Frauen zu 80% zuhause stattfindet und die die Zentren der Angst in den Städten auch für Frauen wirksam dort verortet, wo Presse und Polizeiberichte sie lokalisieren. Claudia Totschnig wiederum stellt eine Verbindung her zwischen Kontrolle und Körper, Kommerz und Ästhetisierung – „Lara Croft als ästhetisches Bildmaterial für Helden von heute ganz ohne soziales Netz“ und „Wie die Städte müssen auch die Körper immer schöner werden“, neben der „Ästhetisierung des überwachten Körpers“ stehe die „Ästhetisierung der Überwachung.“ Aber auch andere Themen kommen nicht zu kurz – egal, ob es sich um den inneren und den äusseren Feind handelt oder um das, was es in den Warenhäusern der Überwachungsgesellschaft Schönes zu kaufen gibt. Ich empfehle aber, dieses Buch zu kaufen.  Da drei Beiträge in gut verständlichen Englisch geschrieben sind, lernen Sie sogar noch etwas dazu!

 

Tine Plesch für ZORES auf Radio Z, 3.8.2004